Montag, 21. November 2016

Wiedersehen und Weitergehen.



Acht Jahre sind inzwischen vergangen, seit ich mein Abitur verliehen bekam und Berlin zum ersten Mal verließ. Viele Schulfreundschaften sind geblieben, einige Kontakte aber sind verloren gegangen oder blieben nur lose bestehen. Am vergangenen Wochenende sollten sich nach all den Jahren gleich zwei Wege plötzlich wieder kreuzen. Völlig überraschend erreichte mich eine Nachricht meines Schulfreundes Simon, der in den letzten zwei einhalb Jahren in Dubai als Unternehmensberater tätig war und für einen Wochenendtrip nach Beirut kam. Bei Bier, Wein und Linsensuppe konnten wir uns gegenseitig auf den neusten Stand der Dinge bringen und ein wenig in alten Zeiten schwelgen.
Wiedersehen mit Simon
Ins Gespräch vertieft nahm ich zuerst kaum wahr, als mir plötzlich eine Hand auf die Schulter tippte. Überrascht durfte ich wenig später feststellen, dass vollkommen zufällig meine ehemalige Mitbewohnerin Rascha vor mir stand, mit der ich vor acht Jahren in einer WG wohnte und seither nicht mehr gesehen habe. Weil ihre gesamte Familie ursprünglich aus Syrien kommt, habe ich in der Zwischenzeit oft an sie gedacht, wenn ich mit Schrecken die Nachrichten aus der Region verfolgt habe. Deshalb freut es mich enorm, plötzlich zu erfahren dass sie inzwischen für eine NGO im Norden des Landes arbeitet und regelmäßig in Beirut zu Besuch ist. Ich bin sehr gespannt darauf, in naher Zukunft bei einem gemeinsamen Kaffee mehr zu erfahren.

Das zweite Novemberwochenende bietet nach zahlreichen Ausflügen endlich Gelegenheit, ein wenig zu entspannen. Ich verbringe viele Stunden im Gemeinschaftsraum, um Arabisch zu lernen und Artikel für die kommenden Unterrichtsstunden vorzubereiten.
Autofreie Zone in Hamra
Am Samstagabend werden die Bewohner Hamras mit lautem Gedröhne und Megafon von der Polizei aufgefordert, ihre Autos umzuparken, um die Straßen für den Marathon des kommenden Morgens freizumachen. Bis in die Nacht wechseln sich Polizei und Abschleppwagen mit Ankündigungen und Maßnahmen ab, bis die Straße leer und ruhig ist.


Am nächsten Morgen wachen wir in einem autofreien Hamra auf – ein wahrlich seltener Anblick und eine Erholung für unsere Ohren, die sich langsam an den immerwährenden Straßenlärm gewöhnt haben. Die neue Woche beginnt mit einem Ausflug ins Orient-Institut, das bedauerlicherweise geschlossen hat. Trotzdem setzen wir uns für eine Weile in den Garten der Einrichtung, um ein paar kurze Videos für Maxie zu drehen, die als Daad-Korrespondentin eine Kurzreportage ihres Studienalltags für die ARD dreht. 
Kulisse für Maxie's kurze Reportage


 Weil die Bibliothek des Orient-Instituts aufgrund einer geschlossenen Veranstaltung nicht für uns geöffnet ist, begeben wir uns in ein hübsches Künstlercafé, das sich unweit unserer Hochschule befindet. 







Fragwürdige Literatur in Ashrafiyeh
Nach einem Wochenende an der N.E.S.T kann ich einen kleinen Tapetenwechsel gut gebrauchen,  und erkunde deshalb mit Maxie am Abend das feine Viertel Ashrafiyeh bei einem Besuch in einem 'Organic-Store' – der sich von einem Berliner Bioladen kaum unterscheidet – und einem Kurzausflug in eine riesige Shoppingmall, in der sich die geliftete und nasenoperierte Elite der Stadt trifft, um in teuren Geschäften ihr Geld auszugeben. Am Mittwoch halten Maxie und ich bereits unsere vierte Andacht, die sich mit Dietrich Bonhoeffer befasst und zu unserer Freude bei den anderen Studierenden gut ankommt. 

Am Nachmittag besuchen wir eine griechisch-katholische Kirche auf dem 'Kirchenberg' Harissa, der ein wenig an den Ölberg erinnert.  Die prächtige Kirche wird derzeit renoviert, und einer der Restaurateure schenkt jedem von uns einen goldenen Mosaikstein zur Erinnerung.
Neben der Kirche befindet sich außerdem ein griechisch-katholisches Priesterseminar, in dem wir bei einem Kaffee mit dem Dekan der Einrichtung sprechen. Der freundliche Gesprächspartner ist offen für all unsere Fragen und strahlt im Gespräch eine sehr angenehme Ruhe aus. Insgesamt fällt mir bei unseren vielen Begegnungen auf, dass die geistlichen Vertreter nicht nur sehr freundlich, sondern auch äußerst eloquent und gebildet sind. 
Den Abend verbringen Maxie und ich in Mar Mikhael. Dort treffen wir Jad, den wir auf unserer Stadtführung durch Beirut kennengelernt haben, und der in einem kleinen Café in dem angesagten Viertel arbeitet. Außerdem kommt wenig später auch Nabil hinzu, ein Druse, den Maxie vor kurzem kennengelernt hat. 
Jad erzählt uns, dass er der einzige libanesische Mitarbeiter ist und das Café vor allem von Syrern besucht wird, die dort gern gesehen sind. Jad freut sich, dass er durch die neuen Kontakte mit Syrern sein Arabisch aufpolieren kann. Immer wieder wird deutlich, dass im Libanon der französische und englische Einfluss derart groß ist, dass Libanesen auch untereinander häufig einen Mix aus den drei Sprachen sprechen. Mit den Syrern hingegen, berichtet er, lernt er zum ersten Mal einige Begriffe auf Arabisch, die er bisher nur auf Französisch kennt.
Wackelige Renovierungsarbeiten.. 


Maxie's drusischer Freund hingegen ist weniger erfreut über die Welle der zahlreichen Flüchtlinge, und nimmt vor allem die von Armut gezeichneten Veränderungen im Stadtbild wahr.
Nach einem spannenden und lustigen Abend bringt uns Nabil mit seinem schicken Auto nach Hause. Eine nette Alternative zu Bus Nummer 4. 
Auf der Suche nach Orten, an denen man in der Stadt ungestört lesen und lernen kann, bin ich auf eine Mischung aus Café und Bibliothek gestoßen, das im Internet von einigen Besuchern hoch gelobt wird. Adressangaben sind in Beirut meist eher wage, und so dauert es eine Weile, bis wir das Café letztlich finden. 

Völlig versteckt im zweiten Stock eines Bürogebäudes betreten wir die kleine Bibliothek, in der es außerdem guten Kaffee und vegetarische Speisen gibt. Ein kleiner Diamant inmitten von Beirut, auf den wir ohne den Hinweis im Internet nie gestoßen wären. Wir genießen die Novembersonne bei einem Cappuccino und lernen die neusten Vokabeln für unsere anstehende erste Arabischklausur. Nach drei Wochen steht unsere 'mid-term' Exam an, die unser Lehrer einigermaßen demotiviert verteilt, bevor er für eine ganze Weile den Raum verlässt. Noch sind wir auf der Suche nach einem wirklich qualifizierten Lehrer, der die Sprache nicht nur beherrscht sondern auch unterrichten kann. Allem Anschein nach nutzen einige junge Menschen den Arabischunterricht als Möglichkeit, um Geld zu verdienen, ohne tatsächlich als Lehrer ausgebildet zu sein. 

Im Dezember werden wir einige Wochen privat bei einem Studenten der N.E.S.T lernen – für das kommende Jahr müssen wir uns wohl eine neue Option überlegen. Denn nicht nur der wenig qualifizierte Lehrer, auch die dreistündigen Lehreinheiten scheinen mir letztlich nicht wirklich effizient. Dennoch machen wir alle Fortschritte, lernen viele neue Wörter und merken, dass wir immer mehr verstehen. Das selbst sprechen hält sich bislang jedoch noch sehr in Grenzen. 


Am Freitag widmen sich Maxie und ich erneut der deutschen Gemeinde. Wir dekorieren jeweils ein weiteres Lebkuchenhaus und ich binde einen Adventskranz aus frischen Zweigen. Am kommenden Samstag steht der Weihnachtsmarkt bevor, der offenbar das Highlight des Jahres darstellt und von vielen Libanesen sehnsüchtig erwartet wird. Wer unsere Lebkuchenkunst erwerben will, muss allerdings tief in die Tasche greifen: 40 Dollar kostet eines der hausgemachten Häuser. Das letzte Wochenende hielt wenig Schlaf und umso mehr Eindrücke für uns bereit: Am Samstag scheucht mich mein Wecker bereits um 5:45 Uhr aus dem Bett.



Mit einer muslimisch-christlichen Gruppe Akademikerfrauen begeben wir uns auf eine Reise in den hohen Norden. 

Wir frühstücken in Tripoli, und begegnen in zwei Dörfern der Akkar-Ebene religiösen und politischen Vertretern, die sich für den Dialog zwischen Christen und Muslimen stark machen. „Mary's path“ nennt sich das interreligiöse Forum, das die Reise anbietet, und die heilige Maria nicht nur als starke religiöse Frauenfigur verehrt, sondern auch als Bindeglied zwischen Muslimen und Christen versteht.

Bereits auf einem früheren Ausflug nach Harissa durften wir lernen, dass Maria auch für Muslime eine wichtige religiöse Rolle spielt und vielfach verehrt wird. Unser Ausflug wird von einem christlich-libanesischen Fernsehsender begleitet. Dementsprechend formell erscheinen die Gespräche mit den politischen und religiösen Vertretern auf den Podien. Trotz des offiziellen Charakters ist es sehr spannend, nur wenige Kilometer von der syrischen Grenze einige Eindrücke zu sammeln und zu erleben, wie bemüht man um ein friedliches Zusammenleben scheint.
Gerade die Grenzregion ist von der Flüchtlingskrise deutlich betroffen, in einem der Dörfer das wir besuchen leben seit kurzem neben 12.000 Libanesen zusätzliche 8.000 syrische Geflüchtete. Zahlen, die in Deutschland unvorstellbar scheinen und im Alltag ohne laufende Fernsehkameras vermutlich deutlich kontroverser diskutiert werden.


Nach zahlreichen Gesprächen auf Arabisch mit Simultanübersetzung rauchen unsere Köpfe. Bei orientalischen Klängen und einem umfangreichen Essen kommen wir mit einigen Teilnehmerinnen der Reisegruppe ins Gespräch. Viele arbeiten als Dozentinnen und Professorinnen an Universitäten im Libanon, andere leben seit langer Zeit im Ausland und sind nur zu Besuch im Lande. Auf dem Rückweg nach Beirut besuchen wir zu guter Letzt ein Kloster des Carmeliterordens, in dem es auch ein großes Insektenmuseum gibt. Zu diesem Zeitpunkt bin ich aber bereits dermaßen müde, dass mir für Schmetterlinge und Käfer die Nerven fehlen. 

Am nächsten Morgen geht es nach einer kurzen Nacht zurück in den Reisebus, auf zum nächsten Kirchen- und Klosterbesuch. Wir erleben einen zweistündigen griechisch-orthodoxen Gottesdienst im Balamand-Kloster, und besuchen im Anschluss nicht nur das theologische Priesterseminar, sondern auch die riesige Balamand-Universität. Da wir im Rahmen unseres Einführungskurses in die Ost-Kirchen mehrere Gottesdienstberichte verfassen müssen, mache ich mir während des Gottesdienstes zahlreiche Notizen. So fällt es leichter, die zahlreichen Eindrücke in Erinnerung zu behalten, und nicht allzu sehr mit meinen Gedanken abzuschweifen. Der Ablauf der langwierigen Messe ist mir sehr fremd und dennoch unterhaltsam, und fühlt sich ein wenig an wie ein buntes Theaterspiel.
Der Patriarch und sein Portrait
Anlässlich des anstehenden Unabhängigkeitstages ist der griechisch-orthodoxe Patriarch von Antiochien gemeinsam mit einigen Bodyguards aus Damaskus angereist, und macht es sich nach dem Gottesdienst unter seinem eigenen Portrait bei einem Kaffee gemütlich. Nach einer Führung durch das Seminar, vorbei an Tischtennis spielenden Priesterstudenten, führen wir ein langes Gespräch mit einem Geistlichen, der uns in eindrücklicher Weise mit den Herausforderungen der hier lebenden Christen konfrontiert. 
Dass die Kriege im Irak und in Syrien tausende Christen fliehen lässt, lässt die hier lebenden Christen mit Furcht in die Zukunft blicken. Auch hier wird im Gespräch deutlich, dass sich viele christliche Libanesen im Blick auf die Flüchtlingsfrage in einem Dilemma befinden: Einerseits sind ihnen die Gründe der Flucht bewusst, gleichzeitig fürchten sie den Schwund der christlichen Bevölkerung. 


Immer wieder wird an uns Deutsche in Gesprächen appelliert und darum gebeten, die Einwanderung nach Deutschland nicht noch leichter zu machen, um Christen davon abzuhalten, das Land zu verlassen. Es sind Gespräche, die mich dazu anregen, mein eigenes Verständnis der Flüchtlingsthematik in Deutschland zu überdenken und die auch unter uns Studierenden zu langen Diskussionen führen. Das Gespräch mit dem Geistlichen hat mich sehr bewegt, weil in seinen Aussagen deutlich wurde, dass für ihn 'Christsein' wenig mit Mission und wesentlich mehr mit menschlichem Handeln und politischem Engagement zu tun hat. Eine Haltung, die ich unter einigen 'Vorzeigechristen' immer wieder vermisse.



Auch an diesem Tag endet unser Ausflug mit einem weiteren Klosterbesuch auf dem Rückweg nach Beirut. Wir blicken auf das türkisblaue Mittelmeer, während uns Dr. Rima von der Legende erzählt, nach der an diesem Ort ein Schiff vor dem Untergang bewahrt wurde, nach dem den Reisenden Maria erschienen war.

Balamand-Universität
Müde kehren wir letztlich nach Beirut zurück, um den Abend bei einer Stunde Chor mit Lydia, der Frau des Hochschulpräsidenten, abzurunden. Für den Weihnachtsgottesdienst bereiten wir einige Stücke vor, und da Lydia früher als Musiklehrerin und Chorleiterin tätig war, nimmt sie ihren Job äußerst ernst und unterrichtet alle Gesanggruppen in Einzelstunden.

Trotz übermäßiger Müdigkeit nach zwei vollen Tagen fällt es mir nicht leicht einzuschlafen, da ich den kommenden Tag freudig und ein bisschen aufgeregt erwarte. Jan befindet sich momentan auf dem Weg nach Beirut, während ich bereits in unsere zauberhafte Unterkunft für die Woche eingecheckt bin und den Tag dazu nutze, die vielen Eindrücke der vergangenen Woche bei einer 7up mit Blick auf das tosende Meer mit euch zu teilen. 

Meine Unterkunft für die kommende Woche
Ich freue mich sehr darauf, Jan nach nahezu zwei Monaten wiederzusehen, und habe auch nichts dagegen, mich eine Woche etwas aus dem Leben an der N.E.S.T auszuklinken. Dennoch stehen einige Treffen und Aktionen wie der Weihnachtsmarkt auf dem Programm, die unsere Woche sicherlich recht klar strukturieren werden. 
Ich freue mich darauf, Jan für wenige Tage an meinem derzeitigen Leben teilhaben lassen zu können, und bin gespannt, wie es ihm in diesem chaotischen und komplizierten Land gefällt. Morgen wird im Libanon der Unabhängigkeitstag gefeiert – eine gute Gelegenheit den Uni-freien Tag zu nutzen, um das Geschehen auf den Straßen zu beobachten und Jan gleich am ersten Tag mit dem politischen Wirrwarr des Landes zu konfrontieren. „Maxie und du hättet lieber Politikwissenschaften an der American University studieren sollen, anstatt von Theologie an der N.E.S.T“, sagte mir heute ein Medizinstudent beim Mittagessen mit einem Schmunzeln. 
Es ist bereits das zweite Mal, dass ich ihn mit Fragen zur politischen Lage zu überschütten scheine. So sehr mich das theologische Studium der Kirchen fasziniert, hat er dennoch nicht völlig unrecht: Tatsächlich kann ich mich an keinen Auslandsaufenthalt erinnern, bei dem ich derart neugierig darauf war, möglichst viel über die politischen Hintergründe und Zusammenhänge zu erfahren. Ich bin gespannt, welche Geschichten mir und Jan in der kommenden Woche begegnen werden.

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