Freitag, 11. November 2016

Mauern, Brücken und jede Menge Mist.



Zum dritten Mal standen Maxie und ich am vergangenen Freitag vor den Jungs und Mädchen im palästinensischen Flüchtlingslager, um Englisch zu unterrichten. Wir starten mit dem Lied „Head, shoulders, knees and toes“ - singen mit und zeigen passend zur Musik auf die entsprechenden Körperteile. Die Kinder scheinen begeistert, singen laut mit und machen freudig die Bewegungen nach. Im Anschluss versuchen wir unser Glück mit Frontalunterricht, lassen die Schüler die Körperteile buchstabieren, bevor sie die Begriffe in ihre Hefte schreiben. Während uns die Kinder in der vergangenen Woche keine ruhige Minute gelassen hatten, verließen wir das Lager an jenem Tag mit einem guten Gefühl: Dieses Mal gelang es uns wesentlich besser, die Gruppe in Zaum zu halten, Inhalte zu vermitteln und gleichzeitig Spaß an der Arbeit zu haben. Dennoch war dies bedauerlicherweise der letzte Besuch in der Klasse der 5-10 Jährigen. 
Blick auf das Wadi Qadisha
Unsere Universität hat den Wunsch geäußert, aufgrund der Sicherheitslage im Flüchtlingslager den Freiwilligendienst über eine Einrichtung laufen zu lassen, die von der Hochschule vermittelt wurde. In unserem Fall erhielten wir den Kontakt zur NGO über eine Studentin. Da vor Ort keine Person anwesend ist, die sich für uns in irgendeiner Form verantwortlich fühlt geschweige denn Englisch spricht, scheint es letztlich sowohl für die Leitung unserer Uni, als auch für uns in der Praxis unkomplizierter, eine neue Einrichtung über bestehende Kontakte zu suchen. Trotzdem tut es mir leid, die Kinder jetzt wieder zu verlassen, die wir gerade erst ein wenig kennengelernt hatten.

Am vergangenen Wochenende stand der lang ersehnte Besuch im Qadisha Tal bevor. In den Bergen wandern wir mehrere Stunden mit unserer Dozentin Dr. Rima durch das bezaubernde Wadi, um mehrere Klöster zu bestaunen. 


Keine Frage: Sollte irgendwer in Zukunft beschließen, die Herr der Ringe Trilogie erneut zu verfilmen, wären die Berge und Wälder eine perfekte Kulisse. Für die meisten geht es nach der langen Wanderung zurück nach Beirut. Nur sieben von uns haben beschlossen, auch den kommenden Tag in den Bergen zu verbringen. 
Während sich der Bus also zurück in die Hauptstadt bewegt, werden wir von einem Taxie-Truck durch die Berge zu unserer Schlafstätte gebracht: Müde und ein wenig fröstelnd landen wir am Abend im Mar Antonius Qozhaya Kloster. 
Mit dem "Truck-Taxie" auf dem Weg ins Kloster
Die Fahrt im offenen Truck war dank der Aussicht auf die Berge und die untergehende Sonne atemberaubend, gleichzeitig aber auch sehr windig. Im Kloster werden wir freundlich in Empfang genommen, essen zu Abend und wärmen uns mit einer Tasse Tee auf. Während es die anderen sechs bei einem Salat belassen, bestelle ich hungrig das Tagesgericht, das so groß ist, dass es letztlich beinah für die ganze Gruppe gereicht hätte. 

Klassenfahrtzustände
Maxie und Pocahontas

















Da das Kloster einigermaßen stark ausgelastet ist, schlafen wir alle gemeinsam in einem Achterzimmer, das für ein gediegenes Klassenfahrtambiente sorgt. Die Abendstunden verbringen wir mit 'Wer bin ich?' ( = Pocahontas! <3 ) und dem Erraten von pantomimisch dargestellten Begriffen. 
Wandmalerei in einem maronitischen Kloster
Am kommenden Morgen besuchen wir den maronitischen Gottesdienst, der sich – im Gegensatz zur Messe der Assyrer – aufgrund vieler bekannter Elemente aus der katholischen Kirche wesentlich vertrauter anfühlt. 
Shit happens..
Im Anschluss starten wir unsere zweite Wanderung des Wochenendes, die uns im wahrsten Sinne des Wortes durch die Scheiße führt: Angelangt in einem kleinen Dorf stehen wir vor der Herausforderung, auf die andere Seite des Wadis zu kommen.
Blick auf das Tal

Das bedeutet: Den Abhang herunter, über den Fluss, und dann wieder hoch auf einen Weg im Tal. Der Weg zum Fluss führt uns durch jede Menge Tiermist, der – entweder als Dünger oder als Abfallprodukt - auf den Feldern liegt. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Wir werden den bezaubernden Pfad an diesem Tag nicht nur ein, sondern ganze vier Mal betreten. Da der Pfad an jener Stelle nicht ausgeschildert ist, begeben wir uns kurze Zeit später vom Hang zurück ins Dorf, um uns nach dem Weg auf die andere Seite zu erkundigen. Die Bewohner bestätigen uns in einer Mischung aus Arabisch und Französisch, dass der Weg durch den Mist der richtige sei. Also laufen wir wieder zurück, passieren Mist, Müll und ominöse Spritzen am Wegesrand, und klettern zum Fluss, um von dort auf die andere Seite zu gelangen. Soweit, so gut. Auf der anderen Seite angekommen stellen wir allerdings einigermaßen frustriert fest, dass sich kein Weg finden lässt. Die Berge sind hoch und steil – ohne Wanderweg können und wollen wir das Gebirge nicht erklimmen.
Resigniert müssen wir nach einigen Stunden also erneut umkehren, zurück über den Fluss, den Berg wieder hoch, ein letztes Mal über den mistigen Abhang. We've got that shit done! Allerdingst ohne den richtigen Weg gefunden zu haben. Stattdessen begeben wir uns auf die nächste Straße, um aus dem Norden des Landes zurück nach Beirut zu kehren. 
Wer mehr über unseren Ausflug ins Qadisha Valley lesen möchte, oder Lust auf noch mehr Eindrücke aus Beirut hat, kann übrigens auch auf Maxies Blog vorbeigucken. Ihr findet ihn hier.
Nach einem erfrischenden Wochenende kehren wir in den Alltag der Stadt zurück. Arabischunterricht, Vorlesungen, Andachten. Auch in dieser Woche steht für Maxie und mich eine weitere Andacht an, die wir erneut gemeinsam halten. 
Gibt es was schöneres als sonnigen Herbst? Bezweifel ich.
Zum ersten Mal beschließe ich in dieser Woche, einen etwas längeren Impuls zu schreiben, der sich – anlässlich des 9. Novembers - mit Mauern und Brücken befasst. Ein Thema, das mir am Herzen liegt – und nach der U.S-amerikanischen Wahl eines Mauern-statt-Brückenbauers umso relevanter scheint. Lieder suchen, Ideen sammeln, Gebete finden – die Andacht hat in dieser Woche relativ viel Zeit in Anspruch genommen. Umso mehr habe ich mich über das positive Feedback gefreut. Erneut muss ich mir eingestehen, dass mir die Gestaltung der Andachten wesentlich mehr Freude bereitet, als ich mir je hätte eingestehen wollen. Oder wie Jan es formuliert hat: Offenbar hast du das Pfarrerinnen-Gen doch dominant vererbt bekommen.. Ob es dazu je kommt, wage ich allerdings nach wie vor einigermaßen zu bezweifeln. Maxie, Lydia und ich stehen geschlossen an der kulturprotestantischen Front - und überlassen die spirituellen Beiträge meist den anderen.
Während der Alltag seine Pflichten mit sich bringt, bin ich nebenher außerdem damit beschäftigt, meine Zukunft in Deutschland zu planen und eine erste Bewerbung fertigzustellen. 


Selten war mein Leben und Alltag in den letzten zehn Jahren dermaßen kirchengeprägt wie in diesen Tagen: Neben Ausflügen, obligatorischen Gottesdienstbesuchen und unserem historischen Kirchenseminar steht Ende des Monats auch der Weihnachtsbasar der deutschen Gemeinde an. Ein Highlight des Kirchenjahres, an dem wir uns „freiwillig verpflichtend“ beteiligen dürfen. 

Weihnachtskränze, deutsche Wurst und Sauerkraut: Am ersten Advent werden etwa 1000 Besucher aus dem ganzen Land erwartet, die mit kulinarischen Köstlichkeiten und weihnachtlicher Stimmung versorgt werden sollen. 
Weihnachtsbusiness bei sommerlichen Temparaturen
Über dreißig Lebkuchenhäuser wurden in den vergangenen Tagen gebacken und gebaut, die derzeit noch verziert werden müssen. Über vier Stunden saß ich bei strahlendem Sonnenschein auf der Terrasse, um zwei Häuser mit Zuckerperlen, Gummibären und sauren Schlangen zu verzieren.

Am Ende des Monats steht außerdem ein erster Besuch im Lande der Zedern an, auf den ich mich seit meinem Abflug freue: Jan wird seine letzten Urlaubstage in Beirut verbringen, und mir hoffentlich jede Menge Rapperinterviews, Norah Jones und Samba-Schokolade mitbringen... Da in der Uni kein Besuch erlaubt ist, werden wir für eine Woche in eine Airbnb-Unterkunft in der Nähe ziehen – ich baue auf eine stabile Internetverbindung für ausstehende Computerupdates!
Für die kommende Woche stand das Konzert der bezaubernden Hindi Zahra in meinem Kalender – bedauerlicherweise aber wurde es, kurz nachdem ich mir ein Ticket gesichert hatte, wieder abgesagt. Eine Begründung gab es nicht, allerdings wird es wohl im Frühling nachgeholt.
Neben Weihnachtsvorbereitungen bei sommerlichen Temperaturen und jeder Menge Lesestoff sitzen wir momentan drei Stunden zwei Mal wöchentlich im Arabischunterricht, lernen Vokabeln und versuchen gemeinsam mit unserem Lehrer aus Wortfetzen erste Sätze werden zu lassen. Drei Stunden am Stück ist eine Menge - und ich bin noch sehr unsicher, welcher Unterricht mir bisher besser gefallen hat. Da man hier seine Kurse jeweils für einen Monat abschließt und bezahlt, werden wir uns vermutlich zu Beginn des neuen Jahres für eine Lernform entscheiden.
Kürzlich hatte ich immerhin mein erstes Gespräch auf 'Arabisch' mit einem „Tütenpacker“ an der Kasse im Supermarkt. Das ging etwa folgendermaßen: „Ich brauche keine Tüte“, sagte ich dankend, bevor ich meinen Einkauf in meinen Rucksack packte. Er lächelte. „Russland?“ War seine Antwort, auf Maxie und mich zeigend. Ich schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Deutschland!“ Wieder ein Lächeln. Wann werde ich in diesem Leben eigentlich nicht mehr für eine Russin gehalten. Man weiß es nicht.
Unser Einkauf bestand übrigens aus einer Packung Plastiktellern und Gabeln. Weil es an unserer Uni am Morgen nur Tee gibt, führt mich mein erster Spaziergang an nahezu jedem Morgen zu „Cafe Art“ - einem kleinen Kiosk mit Kaffeemaschine. Auf dem Weg dorthin begegnen uns regelmäßig Straßenkinder, die Kaugummis oder Taschentücher verkaufen und uns darum bitten, ihnen Essen zu kaufen. Es fühlt sich unfair und einigermaßen arrogant an, jeden Morgen dankend abzulehnen und bei zu viel Körperkontakt hin und wieder auch lauter zu werden.

Gleichzeitig ist es uns schlichtweg nicht möglich, jeden Morgen allen bettelnden Kindern und Müttern gerecht zu werden. An eben jenem Tag aber hatten wir noch drei Mahlzeiten übrig, die uns die Küche zur Seite gestellt hatte, da wir zur Zeit des Abendessens im Arabischunterricht saßen. Weil wir letztlich außerhalb gegessen hatten, beschlossen wir kurzerhand, die drei Mahlzeiten auf die Plastikteller zu verteilen und auf der Straße zu verschenken. Während einige Kinder dankend ablehnten, und nach wie vor um einen Wrap aus der Bäckerei baten, wurden die kleinen Teller von anderen freudig entgegengenommen. Zwischen Range Rovern, Anzügen und operierten Nasen auf den Straßen Hamras sickert durch die Anwesenheit der Straßenkinder immer wieder eine andere Realität in das teure Viertel, die tiefe Abgründe vermuten lässt. Täglich begegnen uns große Gegensätze - sichtbare und unsichtbare Mauern, die nicht leicht zu überwinden scheinen. Trotzdem hoffe ich, in den kommenden Wochen hinter möglichst viele Fassaden blicken zu dürfen.

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