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Kanzler- und Präsidentenportraits, Hamra |
Nach dem Mittagessen
bleibt meist nur wenig Zeit für eine Runde Kaffee und ein Blick ins
Vokabelheft. Meist erreichen wir die Sprachschule wenige Minuten vor
Beginn des Unterrichts. Zwischen uns und der arabischen Heidi Klum
liegen vier Stockwerke, die Lydia normalerweise läuft, während
Maxie und ich meist mit dem Fahrstuhl Vorlieb nehmen. So auch an
jenem Tag, als wir gemeinsam mit einer weiteren Frau den türlosen
Lift betreten. Kurz vor dem vierten Stock geht plötzlich das Licht
aus. Wir bleiben stehen. Für einen Moment fühlt es sich so an, als
würde der Fahrstuhl ein Stockwerk tiefer sinken. Es ist drei Uhr.
Und Stromausfall. So, wie jeden Tag – drei Mal mindestens. Weil die
Stadt Beirut ihre Bürger nur mit sechs Stunden Strom am Tag
versorgt, sind Hausbesitzer auf Generatoren angewiesen, mit denen sie
selbstständig dafür sorgen, dass in den stromfreien Stunden
trotzdem alles erleuchtet ist. Im wohlhabenden Hamra gehen die
Lichter meist nach wenigen Sekunden wieder an, da sich hier offenbar
die meisten Bewohner einen hauseigenen Generator leisten können. In
anderen Vierteln ist dies hingegen nicht der Fall. Dort greift die
Bevölkerung entweder auf ein illegales Stromnetz zurück, oder
bleibt schlichtweg ohne Versorgung. Gerade in benachteiligten
Stadtteilen und Flüchtlingslagern scheint ein Netz aus (illegalen)
Kabeln die Straßen zu überdachen.
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Arabisch mit Maxie, Lydia und der libanesischen Heidi Klum |
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Nicht nur an fließendem Strom,
auch an fließendem Wasser mangelt es den Libanesen. In den
vergangenen Wochen wurden wir an der Universität dazu aufgerufen,
besonders in dieser wasserarmen Zeit auf unseren Verbrauch zu achten,
da – ähnlich wie beim Strom – die Hochschule nur für wenige
Stunden Wasser aus staatlicher Quelle erhält, und sonst darauf
angewiesen ist, für das übrige Wasser privat aufzukommen. Je nach
Wasserzufuhr schmeckt das Wasser aus dem Duschkopf mal mehr und mal
weniger nach Mittelmeer – trinkbar ist es zu keiner Zeit.
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Letzte Woche: Sport mit der dänischen NGO |
Neben all den schönen
Bildern der Natur und den verwunschenen hübschen Ecken der vom Krieg
gezeichneten Stadt gibt es auch eine andere Seite, die den Alltag
prägt und die Armut und das Chaos des Landes verdeutlicht.
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Wanderung in Tannourine |
An dritter Stelle der
begrenzten Ressourcen steht außerdem das Internet, durch das wir an
der N.E.S.T mit monatlich 6 GB surfen können. Meine Leidenschaft für
Rapper und pubertäre Youtuber muss in diesen Monaten
gezwungenermaßen eine Pause einlegen. Stattdessen malen Maxie, Lydia
und ich in Zeiten der Prokrastination meist Mandalas aus, die später
zu Briefumschlägen umfunktioniert werden. An dieser Stelle herzliche
Grüße an Frau Kesselgruber und lieben Dank für das lebensprägende
Motto „Da kann man immer noch 'nen Briefumschlag draus basteln!“,
das deutliche Spuren hinterlassen hat. Der Fahrstuhl fuhr
übrigens wenige Sekunden später wieder hoch. In der vergangenen
Woche haben wir die letzte Stunde bei Frau Klum belegt, und sind seit
dieser Woche – wie geplant - in einem anderen Sprachinstitut.
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Orthodoxer Prunk |
Alle zwei Wochen findet
Mittwochs im „Radio Beirut“ eine Hip-Hop Session statt, bei der
bekannte Künstler und junger Nachwuchs ihre Fähigkeiten zum Besten
geben können. Nachdem ich seit Jahren versuche, all meine Freunde
von der gesellschaftlichen Wichtigkeit meiner geliebten
Rapperinterviews zu überzeugen, habe ich in Maxie endlich einen
Menschen gefunden, der mein Anliegen teilt. In der kleinen Bar in
Gemmayzeh treffen wir auf einige uns bereits bekannte Gesichter. Erst
seit Ende des Bürgerkrieges hat sich die Szene entwickelt, deren
Anhängerzahl wahrlich überschaubar scheint. Während viele Besucher
bereits nach kurzer Zeit wieder verschwinden, bleiben Maxie und ich
nahezu bis zum Schluss, was uns die Gunst des Rappers „Chyno“
einbringt, der bei einem kurzen Gespräch von seiner diesjährigen
Tour in Deutschland erzählt. Menschen mit mehr Internet als mir und
Interesse an Rap sei an dieser Stelle ein Besuch auf Youtube
empfohlen.
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Libanesischer Herbst. |
Bereits am nächsten
Morgen steht für mich und Maxie die bereits zweite Andacht auf dem
Plan. Wir befassen uns mit dem 12. Kapitel des 1. Korintherbriefs und
laden die Anwesenden zu einer kleinen Schreib-Meditation ein, die sie
von ihren Plätzen durch die kleine Kapelle führt. Einige der eher
konservativ geprägten Studierenden scheinen mit kreativen Ansätzen
hin und wieder etwas überfordert, wenngleich wir von den Dozierenden
dazu angeregt worden sind, die Andachten nach unseren Wünschen zu
gestalten.
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Blick vom Balkon in Douma |
Auch vor dem Wochenende
macht das N.E.S.T-Bedürfnis nach Gemeinschaft nicht Halt. Das letzte
Oktoberwochenende steht im Zeichen des „Fall Retreats“, das die
gesamte Studierendenschaft gemeinsam mit den Lehrenden in die Berge
des Landes führt. Zwei Nächte verbringen wir in Douma, einem
christlich geprägtem Dorf in der Nähe Batrouns. Es tut gut, frische
Luft zu atmen, und fern von dem allseits präsenten Lärm der Stadt
zu sein.
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Wanderung durch die Berge |
Während der Freizeit steht neben der Gemeinschaft die
Geschichte Jakobs im Vordergrund, die in Kleingruppen in
theologischen und persönlichen Gesprächen beleuchtet wird. Am
Samstag machen wir außerdem eine Wanderung in das „Johannes der
Täufer-Kloster“ Doumas, in dem einige von uns an einem
Griechisch-Orthodoxen Gottesdienst der Nonnen teilnehmen, die
vollkommen in schwarz gekleidet sind und seit ihrer „spirituellen“
Eheschließung mit Gott keinen eigenen Vornamen mehr tragen.
Noch
dazu erzählen die Frauen, dass sie täglich um 3:30 Uhr morgens
aufstehen. Ein Lebensstil, der trotz des wunderschönen Klosters - in
dem Fotografieren leider verboten ist – für mich wenig
erstrebenswert klingt.
Auf unserer Rückkehr
nach Beirut machen wir außerdem Halt in Tannourine, einer
beeindruckenden Gebirgslandschaft, in der im Frühling Wasserfälle
fließen, von denen derzeit nur kleine Pfützen erkennbar sind.
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Gruppenbild der N.E.S.T Community |
Im Mittelpunkt der
hiesigen Woche stand die Vorbereitung auf die erste mid-term Klausur.
Unser Islam-Dozent gab uns im Vorhinein eine detaillierte
Beschreibung der bevorstehenden Fragen und Aufgaben, sodass wir uns
sehr genau auf die Klausur vorbereiten konnten. Einerseits hatte ich
in den letzten Tagen Gelegenheit, durch die intensivere Beschäftigung
mit den Texten Zusammenhänge und historische Zahlen und Fakten
besser zu begreifen. Andererseits aber erforderte die Arbeit wenig
eigene Denkleistung und in erster Linie die Fähigkeit, auswendig zu
lernen und das Wissen zum richtigen Zeitpunkt abzurufen. Ich hoffe,
es ist mir schließlich am Donnerstagmorgen gelungen. Das Essay über
Mohammed habe ich inzwischen zurück – und wenngleich ich mir die
detaillierten Kommentare noch nicht angesehen habe, ist das Ergebnis
sehr gut. Ich hoffe nach wie vor, dass wir untereinander Zeit finden,
die verschiedenen Positionen über das Prophetentum besprechen zu
können, da für die Nachbesprechung im Lehrplan leider kein
Zeitfenster eingeplant ist.
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Zwischen Range Rover und Hummer: Ein Autofahrer ohne
das nötige Kleingeld aber dafür mit Humor |
Neben den Vorbereitungen
für die Klausur haben Maxie und ich außerdem der American
University einen weiteren Besuch abgestattet, um an einer
Podiumsdiskussion zur Legislative und der öffentlichen Sphäre des
Landes teilzunehmen. Denn nicht nur im Klassenraum, auch im Land hat
sich in den vergangenen Tagen so einiges getan: Am Montag wurde nach
2 ½ Jahren ein Präsident gewählt.
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Auf dem Weg ins Kloster... |
Der maronitische Christ Michel
Aoun, der bereits zu Bürgerkriegszeiten in das politische Geschehen
involviert war, hat es nach langen Machtkämpfen an die Spitze
geschafft.
Während wir es leider verpasst haben, die Feierlichkeiten
im Stadtzentrum zu beobachten, war es bereits eine Freude, die Wahlen
im Fernsehen zu verfolgen. Während in Deutschland bei Abstimmungen
im Parlament zu digitalen Mitteln gegriffen wird, sind die Libanesen
nach wie vor auf Stimmzettel angewiesen. Dies führte dazu, dass in
mehreren Wahlgängen zu viele Zettel abgegeben wurden, was die Wahl
jedes Mal aufs Neue ungültig machte. Während Aoun im ersten
Wahlgang nicht die benötigten Stimmen erhielt, um es bei einem
Wahlgang zu belassen, muss der zweite Wahlgang mehrfach wiederholt
werden. Letztlich werden zwei Männer eingesetzt, die sich neben die
Wahlurne stellen müssen um zu überwachen, dass jeder Politiker auch
wirklich nur einen Zettel einwirft.
Mit der nötigen Sozialkontrolle
klappt es nun endlich, und die Zahl der Zettel korreliert schließlich
mit den Anwesenden. Autokorsos, Feuerwerk und Schüsse bringen die
Freude Aouns Anhänger zum Ausdruck. Die erzielte Einigung scheint
ein Erfolg für die Christen des Landes, wenngleich ihre Einigkeit
häufig an der Frage über den „richtigen“ Präsidenten und an
politischen Fragen im Allgemeinen zu scheitern scheint. Während die
libanesische Verfassung es voraussieht, dass ein maronitischer Christ
das Amt des Präsidenten trägt, ist es an den Sunniten, den
Premierminister zu stellen.
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Präsidentenwahl |
Der wiederum wurde wenige Tage nach der
Wahl des Präsidenten von Aoun am Donnerstag ernannt: Ab sofort soll
Saad Hariri, der bereits von 2009 – 2011 an der Spitze stand,
erneut das Amt übernehmen. Es scheint sich einiges zu bewegen in
diesem Land, in dem die Politik so furchtbar verworren und
kompliziert, und die Gesellschaft so gespalten erscheint.
Auch für das kommende
Wochenende steht ein weiterer Ausflug mit der Uni auf dem Programm:
Wir werden das maronitisch geprägte Qadisha Valley besuchen, das als
einer der schönsten Flecken des Landes gilt. Auf Anraten Lydias
haben wir beschlossen, den Ausflug zu verlängern und eine Nacht im
Kloster zu verbringen, um auch am Sonntag ein wenig weiter zu wandern
und etwas länger von Natur umgeben zu sein.
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Jeder Funken Herbst ein Gewinn |
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Blick auf Tannourine |
In der Auseinandersetzung
mit den Maroniten begegnen mir Fragen rund um die libanesische
christliche Gesellschaft, denen ich mich in Deutschland noch nie
gestellt habe. Eines der Themen, an dem sich die Christen neben der
Frage über den Präsidenten spalten zu scheinen, ist die
grundlegende Frage nach der Identität: Sind die Christen Araber, wie
die Muslime des Landes? Stammen sie womöglich (so betonen es die
Maroniten) von den Phöniziern ab und sind fern von arabischen
Bezügen? Oder steht ihre christliche Identität schlicht im
Vordergrund, fernab von nationalen Fragen? Die Auseinandersetzung mit
den verschiedenen religiösen Strömungen und Identitäten ist hier
eng mit den politischen Aspekten des Landes verknüpft, und wird
somit nicht nur spannend sondern auch sehr lebendig.
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Spaziergang durch Douma |
Neben den bereits
bestehenden 18 Religionsgemeinschaften haben Maxie und ich übrigens
bei einem Glas Wein eine 19. hinzugefügt. Bislang hat die
Gemeinschaft lediglich zwei Mitglieder (Maxie und mich) und bedarf an
etwas Werbung: Neben den Shiiten und Sunniten gibt es neuerdings auch
die Shu-iten, die Agnostiker des Landes. (Das arabische Fragewort
„shu?“ hat viele Bedeutungen, heißt in erster Linie aber
„was?“). Diejenigen also, die sich zwischen all den überzeugten
Gläubigen einfach nicht entscheiden können, seien an dieser Stelle
herzlich eingeladen, unsere Gruppe zu stärken und sich in
Unwissenheit und Hoffnung den Shu-iten anzuschließen.
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