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Abschied im Captains - Die Attribute beziehen sich auf die Bar! |
Der dritte Sonntag im Mai
beginnt mit dem bereits angekündigten 'NEST'-Sunday, an dem Maxie,
Clemens und ich unsere Beweggründe für ein Studienjahr im Libanon
mit der protestantischen Gemeinde in der 'National Evangelical
Church' im Herzen der Stadt teilen. Dr. Johnny, einer der Professoren
unserer Hochschule, hält die Predigt auf Arabisch, und zwei syrische
Studierende werden zur Bibellesung gebeten. Am Ende des
Gottesdienstes ziehen wir gemeinsam mit dem Pfarrer aus der Kirche,
um wenig später am Ausgang stehen zu bleiben und möglichst jedem
Besucher die Hand zu schütteln und jedem einen guten Tag zu wünschen.
Noch nie habe ich in so kurzer Zeit so vielen Menschen die Hand
gegeben.
Eine ältere schmucke
Dame kommt im Anschluss auf mich zu, und fragt mich nach den Gründen
meines Aufenthalts. Offenbar hat sie im Gottesdienst die Information
verpasst, dass ich hier studiere. Sie geht davon aus, ich sei hier, um
als Freiwillige die syrischen Flüchtlinge im Land zu unterstützen,
und scheint einigermaßen beruhigt, als ich ihre Befürchtung
verneine. In Syrien, erklärt sie mir, gebe es ausreichend
kriegsfreie Regionen, in denen man in Ruhe leben könne. Der einzige
Grund weshalb die Syrer in den Libanon kämen, sei die zusätzliche
Unterstützung durch NGOs und internationale Freiwillige aus aller
Welt. Sie beklagt die Benachteiligung der ärmeren libanesischen
Bevölkerung und ist sichtlich keine Freundin der Flüchtlingspolitik
des Landes. Eine Position, auf die man auch hier immer wieder trifft.
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Abschiedsfoto mit Lydia und unserem Arabischkurs |
Der Abend steht im
Zeichen des Abschieds von Lydia. Gemeinsam mit einer großen Gruppe
N.E.S.T Studierender verbringen wir einen weiteren Abend im Captains,
der wohl günstigsten und gemütlichsten Bar Hamras.
In der neuen Woche stelle
ich im Ethik-Seminar meine Hausarbeit vor, und habe somit
schlussendlich meine letzte Studienleistung erbracht. Am Nachmittag
spaziere ich ins Orientinstitut, um das gut funktionierende Internet
zu nutzen und mir die ein oder andere Sendung herunterzuladen. Wer
mich kennt, der weiß um meine Leidenschaft für Rapperinterviews. Es
ist wahrlich kein Zuckerschlecken, mit 6 GB Internet im Monat auf den
ein oder anderen Interview-Diamanten verzichten zu müssen. Bushidos
Promophase beginnt mit einem 2 ½ stündigen Interview, das ich mir
aus dem Orientinstitut mitbringe und am Abend bei Wein, Popcorn und
St. Charbel Kerzenlicht genieße.
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Wein, Popcorn und St. Charbel |
Am Abend darauf gehe ich
mit ein paar Leuten der N.E.S.T in den Spieleladen, in dem man für
wenig Geld Brettspiele spielen kann. Es ist der allerletzte Abend von
Lydia, die ein Faible für Strategiespiele hat. Beim ersten Spiel
muss man gut Lügen können – eine Fähigkeit die ich
bedauerlicherweise nicht sonderlich beherrsche. Die zwei
darauffolgenden Spiele aber gewinne ich mit etwas Glück beide –
und so wird es ein für mich sehr erfolgreicher Abend. Maxie kommt
etwas später hinzu, und wir lassen den Tag gemeinsam ausklingen.
Weil ich nach der Abgabe
meiner Hausarbeit jede Menge freie Zeit habe, beginne ich bereits mit
der Anfertigung einer Rede, die erst im Spätsommer zum Einsatz
kommen wird: Im September heiratet meine herzallerliebste
Schulfreundin Ine, deren Trauzeugin ich sein darf. Stundenlang
versinke ich mit alter Musik aus früheren Zeiten auf dem Balkon, und
verschwinde in Gedanken in meiner Schulzeit. Seit unglaublichen
sechzehn (!) Jahren begleitet mich Ine bereits durch mein chaotisches
Leben, und ich kann es kaum erwarten, zurück in Deutschland an den
letzten Hochzeitsvorbereitungen beteiligt zu sein, und schließlich
den großen Tag der Beiden zu begleiten.
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Unsere Ethik-Klasse |
Unsere Dozentin Dr. Rima
hat mir auf Wunsch ganze elf Filme zum Thema 'Krieg und Libanon' zur
Verfügung gestellt, und so nutze ich einige der kommenden Abende, um
anstelle von Interviews oder Polit-Talkshows einige Spielfilme zu
gucken. Darunter: Waltz with Bashir, Under the Bombs
und Zaytoun.
Die Zeit an der N.E.S.T
findet ihr deutliches Ende. Das macht sich auch daran bemerkbar, dass
ich am Donnerstag Nachmittag die letzte Andacht meines Aufenthaltes
besuche, in der unsere Kommilitonin Navina ein letztes Mal ein Lied
auf Hindi mit uns singt, zu dem es eine ausgefeilte Choreographie
gibt. Navina hat indische Wurzeln, und hat uns sowohl den Text als
auch den Tanz über das Jahr verteilt Stück für Stück beigebracht.
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Fossilien klopfen |
Am Wochenende schließen
wir uns der deutschen Botschaft auf einen Betriebsausflug in den
Norden an. Ein Bekannter, dessen Ehefrau für die Botschaft arbeitet,
hatte uns dazu eingeladen, und so standen wir in aller deutschen
Pünktlichkeit fünf Minuten vor der verabredeten Zeit auf dem Mc
Donalds Parkplatz kurz hinter Byblos. Von dort machen wir uns auf den
weiteren Weg, um Fischfossilien 'auszugraben', bzw. 'auszuklopfen'.
In einer Gegend, in der es offenbar überdurchschnittlich viele
Fischfossilien gibt und die Chance äußerst hoch ist ein Fossil zu
finden, begannen wir mit entsprechendem Werkzeug die Steine zu
bearbeiten, um sie letztlich zu spalten und darauf zu hoffen, im
Inneren auf ein Fossil zu stoßen. Tatsächlich waren letztlich
vermutlich alle Teilnehmer erfolgreich, und so fuhren wir wenig
später mit einem kleinen Zertifikat und unserer Ausbeute zurück
nach Beirut.
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Mein Fisch, angeblich 100 Millionen Jahre alt |
Am Sonntag ging es auf
eine weitere Tour in den Süden.
„Sindse in der U-Bahn
jeborn oder warum könnse die Tür nich zumachen? Et zieht! Sie wissn
schon, dass die Anschnalljurte hier nich nur zur alljemeinen
Dekoration anjebracht sind? Wenn wir jetz anjehalten werden muss ick
die Strafe zahlen, nich sie, und mit n bisschen Pech verlier ick ooch
noch meenen Job!“
Ich sitze im Mini-Van von
Beirut nach Saida, und bin mit meinen Gedanken in Berlin. Wäre unser
Busfahrer Berliner, und kein Libanese, dann wären dies vermutlich
die Kommentare gewesen, die die gesammelte Belegschaft des
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Der südliche Libanon von der Burg Beaufort |
Busses zu
hören bekommen hätte. Aber ich bin nicht in Berlin, und unser
Busfahrer ist sehr wohl Libanese – und somit interessiert es
reichlich wenig, dass sich niemand anschnallt und die Tür des Busses
noch sperrangelweit offen steht, als wir losfahren. Die Tür knallt
auf der Fahrt selbstständig zu während der Busfahrer entspannt den
Arm aus dem Fenster streckt, um den Fahrtwind zu spüren.
Bemerkenswert ist immer
wieder die Aufmerksamkeit der Busfahrer und auch der Mitfahrenden,
die häufig durch das Umsetzen von Fahrgästen ermöglichen, dass
Maxie und
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Stobbi im Libanon, hinter mir der südliche Nachbar |
ich nebeneinander sitzen können, oder man einen
Einzelplatz erhält. In diesem Fall fahre ich alleine nach Saida, um
dort von Maxie und ihrem Besucher Phillip abgeholt zu werden.
Endlich nutzen wir die
Gelegenheit, den letzten Checkpoint im Süden zu passieren und an die
Grenze zum südlichen Nachbarn zu fahren. Mit einer
Sondergenehmigung, die wir dank Kontakten an der Hochschule äußerst
unkompliziert erhielten, ist es ein Leichtes von Saida bis an den
Grenzort Kfar Kila zu kommen.
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Sicherheitszone zwischen dem Libanon und seinem Nachbarn |
Der Soldat am Checkpoint
zeigte sich verhältnismäßig desinteressiert und ließ uns ohne
große Kontrolle passieren, nachdem Maxie ihm die Nummer nannte, die
uns als 'Passierschein' übermittelt wurde. Vor unserem Besuch am
Grenzzaun besuchten wir außerdem die Burg Beaufort, die einst vom
König von Jerusalem ausgebaut, und Anfang der 80er von der
israelischen Armee besetzt wurde. Als wir die Burg besichtigen, die
von außen wesentlich kleiner aussieht als sie tatsächlich ist, sind
wir wieder einmal völlig allein in der historischen Stätte
unterwegs. Als wir die Ruinen jedoch verlassen, kommt uns eine –
vermutliche
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Phillip, Maxie und die Burg Beaufort |
amerikanische – Reisegruppe entgegen. Wenngleich noch
immer verhältnismäßig wenige Touristen unterwegs sind, so merkt
man dennoch, dass langsam die Sommersaison beginnt und immerhin etwas
mehr Nicht-Libanesen im Land unterwegs sind als zuvor. Am Grenzzaun
treffen wir auf indonesische Blauhelm-Soldaten, die fröhlich Fotos
mit uns machen, und denen es ansonsten etwas langweilig zu sein
scheint. Viel scheint hier nicht zu passieren, an der Grenze die
durch einen schmalen Sicherheitsraum zwischen den zwei Ländern
markiert ist, auf dem offenbar israelisches Militär regelmäßig
Patrouille fährt.
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Indonesische Blauhelmsoldaten & wir |
Da uns Christian – der
Kontakt zur Botschaft - dankenswerterweise am Vortag eine Route durch
den Süden empfohlen hat, wissen wir in etwa wo sich ein schönes
Restaurant in der Nähe befindet, das wir zum Abschluss unserer Tour
anpeilen können.
Das Restaurant ist sehr
idyllisch am Litani Fluss gelegen. Direkt gegenüber ragt ein Berg in
die Höhe, auf dem der rostige Stacheldraht die Grenze markiert.
Maxie und Phillip bringen mich in Tyros an die Busstation, von der
ich zurück nach Beirut fahre, während die zwei noch eine Nacht im
Süden bleiben. Den Abend lasse ich bei einer Minzlimonade mit Miriam
aus Holland und meinem syrischen Kommilitonen Sleiman im Café Hassan
am Meer ausklingen.
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Restaurant am Litani Fluss |
Die neue Woche startet
mit einer Runde Arabischunterricht und einem Besuch im
Kosmetikstudio. Nachdem ich vor vielen Jahren den libanesischen Film
'Caramel' das erste Mal sah, hatte ich mir fest vorgenommen eines
Tages in Beirut einen libanesischen Schönheitssalon zu besuchen. Das
Studio meiner Wahl entsprach leider nicht völlig dem Stil des Salons
aus dem Film, in dem der neuste Klatsch und Tratsch der Stadt
lebendig besprochen wurde. Dafür wurde mir die Kosmetikerin von
Chris - der Frau des Pfarrers der deutschen Gemeinde - empfohlen, und
so fiel meine Wahl auf den ruhigen Laden in Hamra. Die Kosmetikerin,
die mir nahezu eine Stunde lang das Gesicht mit allerlei Wässerchen,
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Auf einen Tee im Kosmetikstudio |
Cremes und Peelings behandelte, sprach einwandfrei Deutsch, da sie
ihre gesamte Ausbildung in Karlsruhe absolviert hatte. Ob sie
letztlich wieder in den Libanon zurückwollte, frage ich sie. Sie
bejaht und meint, Sonne und Meer wären eben doch ganz
erstrebenswert. Wie Recht sie hat. Mit einer von jeglichen Mitessern
befreiten Nase und dem Duft von Rose und Mango im Gesicht treffe ich
am Abend mit Maxie in einem hübschen Café auf Leila. Die
französische Doktorandin schreibt ihre anthropologische Dissertation
über Freiwillige, die mit Flüchtlingen arbeiten (oder so ähnlich).
Wir hatten sie im palästinensischen Flüchtlingslager bei der Feier
zum Muttertag kennengelernt.
Aus irgendeinem Grund
ging ich den gesamten Abend davon aus, unser Treffen würde aus
Forschungszwecken stattfinden und sie sei daran interessiert ein
Interview mit uns durchzuführen. Allerdings wartete ich vergeblich
auf einen Fragenkatalog, weil ich offenbar verpasst hatte dass wir
schlicht für eine entspannte gemeinsame Limo verabredet waren. Ein
spannender Abend mit einer liberalen und offenen Muslima, die uns
interessante Einblicke in ihr Leben in Frankreich und im Libanon
gewähren konnte.
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Mauerbemalung an der Grenze |
Den heutigen Tag
verbringe ich heute zum Großteil auf der Terrasse der N.E.S.T, auf
der mein Studienjahr auch begann. In den ersten Monaten saß ich mehr
oder weniger jeden Morgen mit Maxie an den weißen Plastiktischen, um
in der September- und Oktobersonne Artikel für die Uni zu lesen und
nebenbei einen Cappuccino zu schlürfen. Vor einigen Tagen hat der
Monat Ramadan begonnen, was sich auf den Straßen deutlich bemerkbar
macht: Viel weniger Menschen laufen durch die Straßen, der
Geräuschpegel scheint ein wenig gesunken zu sein.
Morgen schon wird Paul
(inshallah, sofern er nicht auf dem Weg auf Grund von maximaler
Schusseligkeit sondergleichen verloren geht...) mich in Beirut
besuchen kommen, und ich freue mich auf eine letzte Tour vor meiner
Rückkehr. Noch in dieser Woche stehen uns einige Abschiede bevor.
Eigentlich ging ich davon aus, in dieser Woche die Abschlussfeier des
Kindergartens im
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Mauerbemalung II |
Flüchtlingslager zu besuchen – allerdings wurde
mir vorhin mitgeteilt, dass dort die Masern und Mumps ausgebrochen
sind, und die Feier deshalb abgesagt werden musste. Daher werde ich
mich lediglich mit der Koordinatorin der Organisation treffen, um
mich immerhin von ihr zu verabschieden. Außerdem planen wir eine
kleine Geschenkübergabe an unsere Dozentin und Hauptorganisatorin
Dr. Rima, sowie an den Präsidenten der Hochschule. Auf unserer
letzten Tour in den Süden haben wir zwei kleine Bäume gekauft, die
wir als symbolische Präsente zum Dank überreichen möchten. Weil es
Beirut an Grün im Stadtbild mangelt und
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Outdoor-Sport an der Grenze |
auch unsere Schule eher grau
als bunt ist, schienen die zwei Pflanzen eine gute Gelegenheit,
metaphorische Wurzeln zu hinterlassen und außerdem den Anblick des
Hofes ein wenig zu verschönern. Ich hoffe sie werden auch im
nächsten Jahr noch blühen, und nicht wie ein Großteil der hiesigen
Pflanzen auf Grund des übermäßig salzigen Grundwassers eingehen.
Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntermaßen zuletzt, und so scheint
es immerhin einen Versuch wert, der Schule damit ein Geschenk zu
machen, das bleibend ist.