Als
Maxie und ich am Freitag aus dem Flüchtlingslager an die Hochschule
zurückkehren, drückt mir Lydia einen Zettel mit einer E-Mail
Adresse in die Hand. Während wir englische Lieder sangen, war eine
Delegation von Dekanen aus Baden Württemberg zum Gespräch zu
Besuch. Unter ihnen auch ein ehemaliger Teilnehmer der Tagungen, die
ich im vergangenen Jahr für die EZW mitorganisiert habe. Ein schöner
Zufall, wenngleich es in den kommenden Tagen bedauerlicherweise zu
keinem Wiedersehen kommt, da meine Antwortmail im Spamordner landet.
Dafür dann voraussichtlich im Sommer, wenn der Abschluss der vier
Tagungswochen gefeiert wird.
Nachdem
das zweite Märzwochenende mit einem entspannten Tag in Beirut
beginnt, verlassen wir am Samstag die Stadt, um uns auf einen
weiteren Ausflug zu begeben.
Im Hisbollah-Museum |
Gemeinsam
mit unserem Pilotenfreund Ahmad fahren wir in den Süden, um das
sogenannte 'Tourist Landmark of the Resistance' zu besuchen. Bei dem
großflächigen Gelände handelt es sich um ein Museum, das von der
Hisbollah betrieben wird und vorrangig an Kämpfe und Kriege gegen
den südlichen Nachbarn erinnert. In einer aufwändigen
Freiluft-Installation werden Helme, Panzer- und Raketenreste
ausgestellt. Mit Hilfe von Puppen, Musik und Kampfgegenständen wird
zwischen einem zweihundert Meter langen Tunnel und einer
Ausstellungshalle die Weltsicht der Hisbollah deutlich. [Wer mehr
erfahren will, findet einige Hintergrundinformationen im hier verlinkten Artikel, der 2013 im Tagesspiegel erschien.]
Eine
graue Nebelsuppe hängt über den Bergen, als wir das Areal
aufgewühlt verlassen und uns auf den Rückweg machen.
Lydia, Stobbi, Maxie und jede Menge Glitzer |
Den
Abend leiten Maxie, Lydia und ich mit zwei neuen Bekannten im
Ausgehviertel Mar Mikhael bei Bier und Martini ein. Einige Stunden
später tanzen wir zwischen hell erleuchteten Engelsflügeln in einem
goldenen Glitzerregen zu mittelmäßiger Musik. Einige professionelle
Tänzerinnen und Tänzer tragen im Laufe des Abends eine mit
Goldstaub gefüllte Badewanne in den Raum, die wenig später zur
Showfläche umfunktioniert wird. Die Freizügigkeit der leicht
bekleideten Künstler überrascht mich und hält mir
erneut den
Kontrast zweier Welten vor Augen, die so nah beieinander liegen und
doch nicht entfernter voneinander sein könnten.
Als
die Sonne langsam aufgeht und die ersten Vögel zwitschern, endet die
lange Nacht mit einem letzten Plausch auf Lydias Zimmer, bevor ich
mitsamt Glitzer unter der Bettdecke verschwinde und bis in die
Mittagsstunden schlafe.
Der
Montagmorgen beginnt mit einem Film über die Kreuzfahrer, Müdigkeit
und Bauchweh. Nach Andacht und Mittagessen gönne ich mir eine
Extraportion Schlaf, bevor am Abend der zweite Teil der dreistündigen
Dokumentation ansteht.
Im
Anschluss finde ich endlich Zeit und Ruhe, um mich an den Computer zu
setzen und die ersten Zeilen für mein neues Schreibprojekt zu
verfassen. In der Nacht kann ich mich häufig besser konzentrieren
als tagsüber, und so sitze ich bis in die frühen Morgenstunden am
Schreibtisch, bis der erste Teil vollendet scheint.
Obwohl
das Seminar zum 'Arab-Israeli Conflict' an der AUB am nächsten
Morgen zwecks Midterm-Klausur ausfällt, ist der Nahostkonflikt
spätestens am Abend wieder Thema. Für die Vorbereitung der nächsten
Ethikkurs-Einheit schauen wir eine Dokumentation, in der ein
Vergleich zwischen Südafrika zu Zeiten der Apartheid mit dem
gegenwärtigen israelischen Staat unternommen wird. Der Film löst
bei vielen starke Emotionen aus, und führt zu aufwühlenden
Gesprächen. Die Diskussion im Unterricht am kommenden Tag allerdings
fällt unerwartet ruhig aus, da sie in erster Linie von der Dozentin
geführt wird. Erneut gönne ich mir am Nachmittag einen langen
Mittagsschlaf, und schreibe in der Nacht bis um vier Morgens an
meiner Geschichte weiter. Inzwischen ist mein Biorhythmus
einigermaßen verdreht, aber ich bin sehr glücklich, endlich wieder
an einem neuen Projekt zu sitzen.
Drachen, Zwerge und jede Menge Würfel |
Ein
ungewöhnliches Aufeinandertreffen ergibt sich am Donnerstagabend,
als ich gemeinsam mit Lydia das Multiverse betrete, um gemeinsam mit
drei Bekannten von ihr ein 'Pen-&-Paper Rollenspiel' zu spielen.
Der Laden, der Platz für begeisterte Brettspieler bietet, besitzt
auch einen gesonderten Raum, der mit Plastikfackeln, Drachenfiguren
und gängiger Fantasy-Ästhetik versucht, ein passendes Ambiente für
das außergewöhnliche Gesellschaftsspiel zu schaffen.
Die
Idee des Spiels ist es, einen fantastischen Charakter zu wählen, und
mit Hilfe eines Spielleiters und Würfeln in einer imaginierten Welt
herausfordernde Missionen zu bestehen. So verwandeln wir uns für die
kommende 2 ½ Stunden in Elfen, Zwerge und Zauberer, und setzen
Zauberkräfte sowie unser Kombinationsvermögen ein, um gegen Bären
und Drachen zu kämpfen. Der Spielleiter hat sich passend zur
Atmosphäre in einen dunkelroten Mantel mit goldenen Streifen
gehüllt, und führt uns mit Hilfe eines dicken Regelwerkes durch den
Verlauf der Geschichte. Während die anderen beschließen, die
kommenden acht Wochen regelmäßig neue Welten zu
Post aus Norddeutschland. <3 |
Weil
mein Schlafrhythmus sich noch immer nicht eingependelt hat, verbringe
ich auch einen Großteil des Freitags mit einem ausgiebigen
Mittagsschlaf. Langsam schreitet meine Geschichte voran, die bis zum
2. April fertig werden soll. Außerdem erreicht mich ein kleines
Paket von Simone, die mich mit Süßigkeiten und Nagellack aus
Deutschland versorgt. Im Laufe der nächsten Stunden verschwinden
eine Tafel Schokolade und eine Packung bunte Colakracher umgehend in
meinem Bauch.
Einst eine Kirche: Die Omari Moschee |
Am
Samstag besuchen wir gemeinsam mit Dr. Peter Ford die Omari Moschee,
die zu Kreuzfahrerzeiten eine Kirche war, und sich im ausgestorbenen
Herzen von 'Beirut Downton' befindet. Wir beobachten das mittägliche
Samstagsgebet von der Empore, bevor uns der Sheikh der Moschee
freundlich willkommen heißt und nach einem einführenden Gespräch
durch die Räume und Gemäuer der Anlage führt.
Am
späten Nachmittag treffe ich endlich auf meine ehemalige
Mitbewohnerin Rascha, mit der ein Treffen seit unserer völlig
überraschenden Begegnung im November längst überfällig war. Wir
bringen uns auf den neusten Stand, und tauschen in Kurzfassung aus,
was sich in den letzten 9 Jahren verändert und ergeben hat. Auch am
Abend treffen wir erneut aufeinander, um gemeinsam mit Freunden von
ihr und mit Maxie das Wochenende zu feiern. Im stadtbekannten
'Mezyan', das unter der Woche als entspanntes Restaurant fungiert,
erwartet uns eine ausgelassene Stimmung und ein vollgestopfter Raum,
in dem der ein oder andere auf den Tischen tanzt.
Kreuzfahrerburg Mons Peregrinus |
Blick über Tripoli |
Der
letzte Tag des Wochenendes hält eine Fahrt nach Tripoli bereit, wo
Maxie, Lydia und ich bereits erwartet werden. Hind, eine Frau die wir
vor einigen Monaten bei einem interreligiösen Ausflug kennenlernten,
hatte seinerzeit in ihre Heimatstadt eingeladen und angeboten, uns in
der Stadt herumzuführen. Als wir das Zentrum der zweitgrößten
Stadt des Libanons erreichen, werden wir wenig später von ihr
abgeholt und fahren zur ehemaligen Kreuzfahrerburg Mons Peregrinus.
Von oben blicken wir über die große Stadt und ihre bunten Häuser.
Hind beschreibt Tripoli als
vergessene und marginalisierte Stadt, die
unter religiösen und politischen Differenzen leidet. Die
Kunstprofessorin nimmt sich einige Stunden für uns Zeit, um uns über
die alten Märkte und in ein ehemaliges Hamam zu führen. Die starke
Armeepräsenz ist auf Grund der angespannten Lage unübersehbar.
Außerdem
betreten wir das futuristische Messegelände, das einst vom
brasilianischen
Ein Klangwunder auf dem.. |
...verlassenen Messegelände Oscar Niemeyers |
Bei
einer unverschämt günstigen Falafel, die wir inklusive Extrawünsche
stolz auf Arabisch bestellen, verabschieden wir uns von Tripoli, und
fahren weiter nach Batroun.
St. Patrick's Day in Batroun |
In dem christlich geprägten Dorf an der Küste treffen wir auf Nabil, einen deutsch-libanesischen Freund von Maxie, der derzeit seine Familie besucht. Mit Tanz, Musik und volksfestähnlicher Stimmung wird am Meer der St. Patrick's Day gefeiert.
Leerstehendes Meeresinstitut von Außen |
Kurz bevor die Sonne untergeht, gönnen wir uns einen Blick
Das leerstehende Meeresinstitut |
Um uns
die ungemütliche Busfahrt zu ersparen
organisiert Nabils Vater ein
Taxi, das uns durch die Nacht bis nach Hamra fährt. Mit Pizza zum
Abendbrot geht das Wochenende zu Ende. Bevor
ich mich wieder universitären Essays und Klausuren widme, steht in
dieser Woche weiterhin die Fertigstellung meines kurzen Textes für
das österreichische UND-Magazin im Vordergrund. Außerdem erwarte
ich gespannt die Muttertagsfeier im Flüchtlingslager, für die wir
am letzten Freitag mit den Kindern auf einer kleinen Bühne im Freien
geprobt haben.
Blick über Batroun |
Weil
am Samstag der 'Annunciaton Day' – die
Verkündigung des Herrn –
zelebriert wird, ist außerdem eine Wandertour mit der N.E.S.T in den
Norden geplant. Die Zeit verfliegt und ich bin dankbar über jeden
freien Tag, an dem wir die Gelegenheit nutzen neue Städte, Dörfer
und Landschaften zu erkunden. Immer wieder bin ich erstaunt, über
die Vielfalt des Landes, die sich zwischen Meeresküste und
Berggipfeln immer wieder offenbart.