Die Ereignisse der
vergangenen Tage sind schnell erzählt und stellen dennoch ein
Highlight dar: In der Zeit seit meinem letzten Blogeintrag ist
erstaunlich wenig passiert. Etwas Alltag scheint eingekehrt zu
sein, nach all den Ausflügen und Attraktionen. Ein Ort, an dem ich
bisher verhältnismäßig wenig Zeit verbracht habe, ist die
Bibliothek der N.E.S.T. Während ich in den wärmeren Herbsttagen
meist auf dem Balkon gelesen habe, verschob sich mein
Hauptarbeitsplatz in den letzten Wochen entweder in
Gemeinschaftsräume, mein Zimmer oder andere Bibliotheken.
Am letzten
Dienstag stand mir demnach eine Premiere bevor: Zum ersten Mal ließ
ich mich für einige Stunden in der hauseigenen Bibliothek nieder, um an
meinem Referat weiterzuarbeiten. Außerdem nahm ich mir etwas Zeit
für einen Spaziergang durch den Regen, um die ersten
Weihnachtsgeschenke zu besorgen.
Am Mittwoch morgen fuhr
ich mit Maxie zum ersten Mal allein in das Zentrum im
palästinensischen Flüchtlingslager, in dem wir ab Mitte Januar
unsere Freiwilligenarbeit fortsetzen werden. Es dauerte eine Weile,
bis wir uns gemeinsam mit der Leiterin auf einen Einsatzbereich in
dem Haus mit den zahlreichen Möglichkeiten verständigen konnten. Im
kommenden Jahr werden wir im Kindergarten der Einrichtung arbeiten,
und mit den Kindern englischsprachige Lieder singen. Bereits am
Mittwoch saßen wir für einen Moment auf den kindgerechten
Miniaturstühlen an einem kleinen, runden Tisch, um einen ersten
Eindruck einer der Klassen zu bekommen. Einigermaßen improvisiert
ließ die Lehrerin die Kinder ein paar Lieder auf Arabisch und
Englisch für uns singen. Im Vergleich zu der Schule, in der wir in
den ersten Wochen unterrichtet haben, wirkt hier alles ein klein
wenig strukturierter.
Bevor es am Nachmittag
mit einer weiteren Folge Ostkirchen-Seminar weitergeht, mache ich
mich auf einen weiteren Gang durch Hamra, um mich mit weiteren
Weihnachtsgeschenken einzudecken. In den letzten Tagen merke ich,
dass sich mein Gefühl für meine Umgebung ein wenig verändert hat.
Während ich die Straßen in der Umgebung in den ersten Wochen zwar
neugierig, aber doch vorsichtig erkundet habe, ist in der letzten
Zeit die Neugier gemeinsam mit einem Gefühl der inneren Sicherheit
in mir gewachsen. Während jede Busfahrt allein zunächst eine
Herausforderung darzustellen schien, fühlt sich die Stadt nach
nahezu drei Monaten inzwischen etwas vertrauter an. Ein gutes Gefühl.
St. Nicholas Treppen in Gemmayzeh |
Am Donnerstag mache ich
mich auf den Weg nach Gemmayzeh, um in der Bibliothek des
Sursock-Museums meine Vorbereitungen für das bevorstehende Referat
fortzusetzen. Während ich es mir zwischen Powerpointpräsentation
und Wikipedia-Artikeln gemütlich gemacht habe, erreichen mich
außerdem erfreuliche Neuigkeiten: Nachdem meine deutschen
Kommilitonen und ich uns der Bürokratie ergaben, und erneut für
unser Visum bezahlt haben, liegen bereits am selben Tag unsere
Aufenthaltsgenehmigungen im Sekretariat der Hochschule bereit zur
Abholung. Das erhoffte Weihnachtswunder ist somit eingetroffen: Ich
darf in wenigen Tagen ausreisen ohne befürchten zu müssen,
Anfang Januar nicht mehr hereingelassen zu werden.
Während ich mich in
diesen Tagen mental auf meinen kurzen Besuch in Berlin und Bad
Hersfeld vorbereite, steht für die deutschen Pastoren die endgültige
Rückkehr nach Deutschland an. Nachdem die sechs in den letzten drei
Monaten eine kurze Pause vom gewohnten Alltag eingelegt haben,
steigen die meisten von ihnen noch bereits in diesem Monat mit
bevorstehenden Weihnachtsgottesdiensten wieder in das Arbeitsleben
ein.
Mohammed Al-Amin Moschee |
Zuvor aber fand am vergangenen Freitag die lang erwartete
Weihnachtsfeier statt. Ein zweites Mal durften sich einige von uns in
Schale werfen, um während des feierlichen Gottesdienstes ein paar
Lieder in unseren bordeauxroten Roben zu singen. Im Anschluss stand
außerdem ein festliches Weihnachtsmahl und ein gebührender Abschied
von den Pastoren auf dem Programm. Außerdem war es an jenem Abend an
der Zeit, bei Glühwein und Zimtsternen einem unserer Kommilitonen
ein kleines Geschenk zu überreichen. Zu Beginn der Adventszeit zogen
die meisten von uns einen Zettel, auf dem jeweils ein Name eines
anderen Studierenden der Hochschule geschrieben stand. In den
vergangenen Wochen hing für jeden Spielteilnehmer ein roter
Weihnachtsstrumpf im Foyer, der vom jeweiligen 'Secret Santa' mit
Süßigkeiten und kleinen Geschenken gefüllt wurde. Mit dem letzten
Geschenk kam gleichzeitig die Auflösung des Rätsels, wer sich
hinter dem persönlichen Weihnachtsmann verbarg. Ich wurde mit einem
rosa Sparschwein aus Ton überrascht, das mir stolz von Yussif –
einem syrischen Kommilitonen – überreicht wurde. Nachdem sich nach
jeder Menge Twix eines Tages eine kleine Cherrytomate in meinem
Strumpf befand, ging ich bereits davon aus, dass sich hinter meinem
'Secret Santa' ein Mensch mit Humor verbergen würde. Tatsächlich
ist Yussif einer der lustigsten Menschen, die mir in meinem Leben je
begegnet sind. Allein für die Erinnerung an seine zauberhaft
unterhaltende Art habe ich mich sehr über das knallige Schweinchen
gefreut. Ich hatte Marius – einen der zwei deutschen Jungs unserer
Gruppe – gezogen, der offenbar bereits geahnt hatte, dass ich für
die Geschenke in seinem Strumpf verantwortlich war. Während ich
dachte, meine Geschenke seien vor allem durch Momo-Zitate und
Briefpapier identifizierbar gewesen, meint er hingegen, ich habe mich
durch meinen eindeutigen Süßigkeitengeschmack verraten. Dabei habe
ich extra auf Snickers verzichtet, um die Spuren zu verwischen..
Auch das Wochenende stand
im Zeichen der Universität. Nachdem Maxie und ich den Nachmittag
erneut in der Bibliothek verbringen, werden wir am Abend mit einem
Feuerwerk und musikalischer Unterhaltung für unsere Arbeit belohnt.
Im Herzen der Stadt, gleich neben der großen Muhammad Al-Amin
Moschee wird mit einem Partywagen, lauter Musik und Ansprachen in zu
hoher Tonlage der große Weihnachtsbaum zum Leuchten gebracht. So
wenig die Konstruktionen aus Lichterketten, Kitsch und Plastik den
Titel 'Baum' verdient, so sehr muss man den Libanesen doch eins
lassen: Pyrotechnik können sie, und zwar wie! Während ein verrückt
gewordener Weihnachtsmann von ein paar Soldaten durch die Menge
geschoben wird und ein Karnevalsumzug über den Platz marschiert, bringt das beeindruckende Feuerwerk den schwarzen Nachthimmel zum Leuchten.
Den Abend beende ich mit einem Bier in Hamra, bei dem Maxie von einem
Fernsehsender zum Nachtleben Beiruts befragt wird.
Am nächsten
Morgen machen Clemens, Maxie, Lydia und ich uns auf den Weg, um am
Gottesdienst einer armenisch-orthodoxen Gemeinde teilzunehmen. Die
Kirche befindet sich in Bourj Hammoud, einer armenisch geprägten
Ortschaft, die unmittelbar an Beirut grenzt.
Zwischen unzähligen
Juweliergeschäften decken sich Maxie und Lydia nach dem
zweistündigen Gottesdienst mit Trockenfrüchten ein. Außerdem
verzichten wir auf das – sich auf Dauer wiederholende - Mittagessen
der Hochschule und nehmen mit einer Falafel vorlieb. Am Nachmittag
machen sich Maxie und ich daran, ein paar Ideen für unsere
Dezemberandacht zu sammeln.
In der armenisch-orthodoxen St. Vartanants Kirche |
Juweliergeschäfte in Bourj Hammoud |
Die neue Woche beginnt
mit einem ersten erfolgreichen Besuch im deutschen Orient-Institut.
Nach zwei vorangegangenen Ausflügen in das arabische Haus, die vor
verschlossenen Türen endeten, dringen wir nun endlich in die
Bibliothek vor. Während sich Maxie und Lydia an ihre
Ostkirchen-Berichte setzen, gestalte ich das Handout für mein
Referat. Außerdem bin ich an jenem Tag mit meinen Gedanken in
Deutschland: Erst, weil Jan seinen dreißigsten Geburtstag feiert,
und ich traurig bin, nicht dabei sein zu können. Später, weil
jemand mit einem LKW in einen Berliner Weihnachtsmarkt rast, und ich
mich um Freunde und Familie in der Heimat sorge. Am Abend lernen
Maxie, Lydia und ich außerdem zwei neue Kartenspiele von einer
Ägypterin, ich schaue den Mädels beim Wasserpfeife rauchen zu
und freue mich über eine frische Minzlimonade.
Bevor ich mich auch am
Dienstag meinem Referat und meinem Ostkirchen-Bericht widme, steht
zunächst die Andacht auf dem Programm, die ich bereits zum fünften
Mal mit Maxie zusammen halte. Wir widmen uns der Frage, was Heimat
für uns bedeutet, und lassen die Anwesenden kleine
Adventskalenderbriefchen schreiben, in denen sie ihren Sitznachbarn
erzählen können, wo und was 'Heimat' für sie ist. Im versteckten
Bibliotheks-Café in Gemmayzeh verbringen Maxie und ich den
Nachmittag über unseren Laptops, bevor wir am Abend einen neuen Ort
entdecken.
Gemütliches Konzert der 'Postcards' |
Die ruhige Musik und die gemütliche Atmosphäre lassen mich für einige Momente Zeit und Raum vergessen. Ein zauberhafter Abend, den ich mit meinen spannenden Berichten über meine zahlreichen Bibliotheksbesuche der letzten Woche beende. Bereits übermorgen werde ich in den Flieger steigen, um mich dem deutschen Winter und der großen Wiedersehensfreude hinzugeben. Zeit für Klöße, Lebkuchen und ein paar Mortadellabrötchen! Allen Mitlesenden wünsche ich bereits jetzt ein frohes Weihnachtsfest und besinnliche Tage zwischen den Jahren. Bis auf 2017 und viele neue Geschichten aus Beirut!