„It's a good time to
come, its a bit too warm, but its quiet“, sagt der Taxifahrer, der
im Eingangsbereich des Flughafens neben unzähligen anderen Wartenden
steht und ein weißes Schild mit schwarzen Lettern in die Höhe hält.
„N.E.S.T“ steht darauf. Die Near East School
of Theology ist in den kommenden 9 Monaten mein zu Hause. Dort
leben neben Theologiestudierenden nicht nur eine Handvoll fachfremder
Studenten, sondern auch einige Dozenten. Es wird gemeinsam gelernt,
gegessen und gebetet – Auf ein aktives Miteinander wird am Seminar
offenkundig viel wert gelegt.
Die letzten Tage zwischen
Kiel, London und Berlin waren wahnsinnig nervenaufreibend und
unverhältnismäßig stressig. Zwischen Arztbesuchen, einem Haufen
Papierkram und dem letzten Großeinkauf bei dm blieb wenig Zeit, um
angemessen Abschied zu nehmen.
Getrieben von
Rastlosigkeit, Vorfreude und Aufregung bin ich in den vergangenen
Tagen von A nach B gerannt, um die letzten Erledigungen vor der
Abreise von der To-do Liste streichen zu können. Jan hatte vor allem
in den letzten Tagen das Vergnügen, mir hinterherrennen zu dürfen.
Seine Ausdauer und Gelassenheit haben mir in vielen Momenten den
Rücken gestärkt, in denen sich meine innere Ruhe längst
verabschiedet hatte. Mit einem neuen Koffer und gemischten Gefühlen
mache ich mich also auf den Weg, und lasse das Chaos hinter mir.
Zumindest für einen Moment.
3 ½ Stunden später
fliegen meine Kommilitonin Maxie und ich bereits über die Küste von
Beirut. Wir blicken auf eindrucksvolle Villen mit großen
Swimmingpools und heruntergekommene Häuser am Strand, bevor unser
Flieger mit einer Vollbremsung landet.
Nachdem wir eine Weile
einigermaßen planlos in der Schlange der Passkontrolle stehen,
werden wir freundlich darauf hingewiesen, dass wir zunächst unser
Visum bezahlen müssen. Mein Herz klopft ein bisschen lauter als
sonst, aber die Einreise verläuft letztlich ohne Schwierigkeiten.
An der N.E.S.T angekommen
werden wir in unsere Zimmer geführt. Während die zwei Jungs unserer
Gruppe ein Doppelzimmer auf der Männer-Etage haben, sind wir Frauen
ein Stockwerk höher in drei Einzelzimmern untergebracht. Ein kleiner
Rückzugsort, der im sonst so gemeinschaftlich ausgerichteten Alltag
sicher nicht schadet. Nach einem kleinen abendlichen Spaziergang
durch die umliegenden Straßen und einer Pizza zum Abendbrot falle
ich erschöpft ins Bett.
Der erste Tag beginnt mit
Pita, Labane, kleinen Gurken und einem Rest schwarzen Tee. Bei einem
Orientierungstreffen stellen sich die anderen internationalen
Studenten vor. Außer uns fünf deutschen Theologen sind auch
Studentinnen aus Schweden und den U.S.A angereist. Die
arabischsprachigen Kommilitonen, die mir bisher begegnet sind, kamen
alle aus Syrien. Tatsächlich aber studieren an der N.E.S.T
Theologiestudierende aus dem gesamten arabischen Raum. Erwartet
werden derzeit außerdem noch einige Armenier, die momentan den
Unabhängigkeitstag in Armenien zelebrieren und erst danach an die
Uni zurückkehren werden.
Am Nachmittag begeben wir
uns auf den Weg in einen Handyladen, um uns mit einer libanesischen
Sim-Karte auszustatten. Internet und Telefonie sind hier im Vergleich
zu Deutschland nicht nur wesentlich teurer, das System scheint auch
deutlich komplizierter. Ob selbst nach der dritten Diskussion jeder
begriffen hat, wie das Tarifsystem des Anbieters wirklich
funktioniert bleibt offen – Immerhin aber haben am Ende alle eine
neue Nummer.
Am Nachmittag spazieren
wir durch Hamra – das Viertel in dem unsere Uni liegt - herunter
ans Meer. An der Corniche - der
Strandpromenade - zeigt
sich Beirut von seiner prunkvollen Seite: Wolkenkratzer
ragen in den Himmel, überdimensionierte Autos - die ich sonst nur
aus Rapperinterviews kenne - fahren durch die Straßen, und am Hafen
liegen teure Yachten im Wasser. Auch in Hamra scheint die Armut in
weiter Ferne. Zwischen Starbucks und H&M reiht sich ein feines
Restaurant an das nächste. Unweit von unserem Haus ist außerdem die
amerikanische Universität gelegen, die das Bild des Viertels
deutlich prägt. Dort lernt die libanesische und internationale
Elite, die den westlichen Lebensstil für sich entdeckt zu haben
scheint.
Im
Vergleich zu anderen arabischen Ländern, in denen ich bislang durch
die Straßen lief, fällt man in Hamra kaum auf. Frauen spazieren in
sportlichen Shorts und kurzen Sommerkleidern durch die Straßen, die
Blicke und Kommentare halten sich deutlich in Grenzen. Ob dies auch
für die Viertel hinter den Grenzen Hamras gilt, wird sich in den
kommenden Tagen sicherlich zeigen.
Heute
wird das Semester mit einem offiziellen Gottesdienst eingeleitet. Im
Anschluss findet der erste Kurs statt. Auf dem Plan steht eine
Einführung in die zeitgenössischen Ost-Kirchen. Unsere Dozentin,
Dr. Rima, ist uns bereits im ersten Orientierungstreffen begegnet und
macht einen sehr selbstbewussten und humorvollen Eindruck.
Auf
dem weiteren Programm für die Woche steht außerdem die Organisation
eines Arabischkurses. Da nahezu alle internationalen Studierenden an
einem Sprachkurs interessiert sind, versucht die Uni derzeit einen
Lehrer für uns zu finden, der bereit ist, uns mehrmals wöchentlich
in den Räumen der N.E.S.T zu unterrichten. Darüber hinaus hat die
Universität offenbar zahlreiche Kontakte zu sozialen Einrichtungen,
die sich über Unterstützung durch Freiwillige freuen. Gerade die
Arbeit mit Kindern oder älteren Menschen könnte eine gute
Gelegenheit bieten, um möglichst viel Arabisch zu lernen.
Zunächst
aber heißt es: Ankommen, durchatmen, langsam angehen lassen. Die
Seele reist langsamer, als der Körper, heißt es. Oder mit den
Worten eines arabischen Sprichwortes: Die Seele reist mit der
Geschwindigkeit eines Kamels.
Es
wird sicher noch eine ganze Weile dauern bis ich begriffen habe, wo
ich hier gelandet bin – und dass dies in den kommenden 9 Monaten
mein neues zu Hause sein wird.