Dienstag, 28. Februar 2017

Viele große Monster und eine kleine Krabbe.


Sonniger Blick von meinem Balkon
Ein weißgrauer Schleier verdeckt den Himmel über Beirut und es ist ein bisschen schwül, als mich zauberhafte Neuigkeiten aus Berlin erreichen: Ine, meine langjährige Wegbegleiterin und enge Freundin ist Mutter geworden. Die kleine Krabbe – so unser Arbeitstitel der letzten Wochen – heißt jetzt Lars und schmunzelt müde auf dem Foto, das mich am Morgen erreicht hat. Ich freue mich sehr, im Laufe der letzten Monaten nun bereits zum zweiten Mal gefühlt Tante zu werden, und bin schon sehr gespannt, ihn im Sommer kennenzulernen.
Am vergangenen Donnerstag feierten die Armenier ihren Heiligen St. Vartan, weshalb sowohl unsere, als auch die armenische Haigazian-Universität geschlossen blieben. Kein Grund jedoch, auf den zweistündigen Arabischunterricht und eine weitere Sitzung an der Amerikanischen Universität zu verzichten. Am Abend ging außerdem unser Theaterworkshop mit Atemübungen und viel bewusster Bewegung in eine zweite Runde.
Das Wochenende wird mit einer weiteren Stunde Gesang und Geschrei im palästinensischen Flüchtlingslager eingeleitet. Dieses Mal begleitet uns Sophia, eine schwedische Kommilitonin, die einen Newsletter über die Aktivitäten des christlichen Zentrums schreiben soll. Ungünstigerweise ist die Leiterin des Hauses trotz Verabredung nicht anwesend, und so kommt es, dass wir an diesem Freitag eine weitere Teilnehmerin in unserem Klassenzimmer begrüßen. Mittlerweile haben die Kinder klare Song-Favoriten, wenngleich die Lieder zum Muttertag noch immer im Vordergrund stehen. Um nicht dreißig Minuten lang die gleichen drei Zeilen zu singen, wechseln wir die Muttertagsmelodien mit Liedern über eine Busfahrt, fünf Affen und den Körperteilen auf Englisch ab.
Dass auch mein eigener Körper momentan wieder nach mehr Aufmerksam ruft, wird mir im Laufe des Tages deutlich. Ich versuche, mit einigen Yogaübungen und etwas Sport auf nicht enden wollende Schmerzen zu reagieren – beschließe aber dennoch, einige Tage später einen Termin beim Arzt zu vereinbaren. Wenngleich ich über jeden Moment in diesem Land sehr dankbar bin, wird mir dennoch langsam bewusst, dass es Zeit wird einen Ort zu finden, an dem ich mich für einen längeren Zeitraum niederlassen kann, um meine körperlichen Beschwerden ernsthaft anzugehen anstatt sie länger zu vernachlässigen.
Wie im Vorhinein geplant und angekündigt, steht am kommenden Nachmittag ein Besuch einiger muslimischer Studenten auf dem Plan, die uns an der Hochschule besuchen. Die Gruppe ist Teil der Adyan-Stiftung, die sich für interreligiösen Dialog im Libanon einsetzt. Bereits beim gemeinsamen Mittagessen kommen wir mit einigen Studentinnen ins Gespräch, das wenig später in aller Ausführlichkeit bei Kaffee und Keksen fortgesetzt wird. Ich bin beeindruckt und auch einigermaßen erstaunt, von einem hohen Maß an Offenheit und Selbstkritik, das zu spannenden Diskussionen führt. Dankenswerterweise schlägt Lydia vor, die Gespräche in eine weitere Runde gehen zu lassen, und so hoffe ich sehr, dass wir uns in Kürze erneut mit einigen Teilnehmern treffen werden.
Den Abend lassen Maxie, Mark, Jad und ich mit karamellisiertem Popcorn und dem Film „Manchester by the Sea“ im Kino ausklingen. Ein ruhiger Film mit einer traurigen Geschichte, der mich dank unaufgeregter Alltagskomik trotzdem immer wieder zum Lachen bringt. Wenig später beschließen Mark und Jad außerdem, Maxie und mich auf eine Überraschungsrunde in einer nahe gelegenen Spielhölle einzuladen. Meine Begeisterung hält sich zunächst in Grenzen, bis wir in einen kinoähnlichen Saal geführt werden, der eine Leinwand und Sitze mit Anschnallgurten für uns bereit hält. Angeschnallt und mit aufgesetzten 3D Brillen geht es los: Eine Welt voller Monster eröffnet sich uns auf dem Bildschirm, die mithilfe von Laserpistolen abgeschossen werden müssen. Aus 3D wird schnell 4D, als sich unsere Sitze passend zur Handlung bewegen, und den Eindruck erwecken, wir befänden uns inmitten der Szenerie. Wenn es etwas gibt, worin ich wahrlich nicht geübt bin, dann sind es Videospiele – und so verliere ich wenig überraschend Runde für Runde, während ich gegen Werwölfe und Monster kämpfe. Zwischenzeitlich fällt kurzerhand der Strom aus, weshalb wir ein weiters Spiel aufs Haus spendiert bekommen. Ein aufregendes Ende eines gelungenen Tages.
Der nächste Nachmittag steht im Zeichen der protestantischen Kirche von Syrien und Libanon, die an diesem Sonntag die erste Ordination einer Frau zelebriert. Rola Sleiman hat 1997 ihr Studium an der N.E.S.T abgeschlossen, und seither in einer Gemeinde in Tripoli gearbeitet. Zwanzig Jahre später erhält sie nun endlich das Recht und die Möglichkeit, als 'vollwertige' Pastorin arbeiten zu dürfen. Ein großer Tag, der mit einer kitschigen Torte, dröhnendem Feuerwerk und einem fantastischen Büffet gefeiert wird.
Die neue Woche startet mit einem Besuch im Orientinstitut, weil wir bis zum Ende der Woche eine kurze Evaluation unseres Zusammentreffen mit den muslimischen Studierenden verfassen müssen. Also schreibe ich, und lade währenddessen einige Rapperinterviews herunter. Wer sich auch nur im entferntesten für diese Form der Unterhaltung begeistern kann, sollte sich übrigens das ein oder andere Interview mit MC Bogy auf dem Youtube-Channel 'TV Strassensound' unter keinen Umständen entgehen lassen. Es ist mir jedes Mal aufs Neue eine große Freude.
Nur noch zwei Sitzungen trennen mich von der nächsten Klausur, und so werde ich mich in dieser Woche vermutlich vor allem den muslimisch-christlichen Beziehungen in vergangenen Zeiten widmen. Außerdem wird in unserem Ethik-Kurs eine schriftliche Auseinandersetzung mit einer libanesischen NGO gefordert, die ein Interview mit einem Vertreter der jeweiligen Einrichtung beinhalten soll. Momentan spiele ich mit dem Gedanken, mich mit den „Fighters for peace“ zu befassen, die an einer Aufarbeitung des libanesischen Bürgerkrieges mit Hilfe von persönlichen Zeitzeugenberichten arbeiten.
Langsam scheint sich der Frühling auf den Straßen von Beirut seinen Platz zu verschaffen. Der Regen wird weniger, die Temperaturen steigen. Ich hoffe, dass geschlossene Schuhe und leichte Winterjacken in Kürze zu Kleiderschrankrelikten verkommen werden. Mit Beginn der Fastenzeit steigt langsam die Vorfreude auf Ostern und den bevorstehenden Besuch aus Deutschland.
Zeit, sich ein wenig Gedanken über mögliche Reiseziele und Übernachtungsorte zu machen, um während der Osterferien möglichst viele Ecken des Landes besichtigen zu können. Bis dahin aber bestimmt der libanesische Alltag die Zeit, die hier wie im Flug zu vergehen scheint.

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