Mittwoch, 22. Februar 2017

They see me rollin':
Zwischen Waschmittelduft und Sightseeing auf Rädern.

Der staatlich verordnete Gedenktag für den ehemaligen Premierminister Hariri beschert uns einen unifreien Valentinstag. Mark – der maronitische Pilot mit St. Charbel-Faible – lädt Maxie und mich auf einen Ausflug in den Süden ein. Gemeinsam mit einem weiteren Pilotenfreund machen wir uns am frühen Vormittag auf den Weg. Vorbei an Bergen und Checkpoints fahren wir durch das bewölkte Land, um wenig später einen kurzen Halt im Ferienhaus des Freundes einzulegen.
Maxie im Wunderland

Immer wieder sticht mir bei Hausbesuchen der libanesische Einrichtungsstil ins Auge: Auch im Süden stoße ich auf einen Hauch von Kitsch, gepaart mit altmodischen Möbeln und mindestens einer Tüte zu viel Dekorationsartikeln. Aber Schönheit liegt bekanntermaßen im Auge des Betrachters. Nach einer kurzen Pause verlassen wir das Haus, das die Familie lediglich als Wochenend- und Ferienresidenz nutzt. Wir fahren weiter und verfolgen den Plan, wenig später die südliche Landesgrenze zu erreichen. Da unser Fahrer allerdings unter Zeitdruck steht, schaffen wir es nur bis nach Nabatiye. Unser Ausflug erinnert mich an einen Trip durch den Great-Smoky-Mountains-Nationalpark in den U.S.A, den ich trotz atemberaubender Natur zum Großteil im Auto verbrachte. Zeitdruck und eine Prise Planlosigkeit führen dazu, dass wir auch auf dieser Reise die meiste Zeit auf vier Rädern unterwegs sind. Wir verschaffen uns einen ersten Eindruck von Nabatiye aus den Fenstern des Wagens, und fahren wenig später nach Tyros, um an der Küste zu spazieren und Mittag zu essen.
Tyros
Als wir auf dem Rückweg an einem orientalischen Süßigkeitengeschäft halten, werden Maxie und ich erneut Zeuginnen der libanesischen Gastfreundschaft. Ahmed, der Pilotenfreund, beschließt kurzerhand uns ein ganzes Kilogramm süßes Gebäck zu schenken. Als wir versuchen, ihm Geld zurückzugeben, lehnt er es vehement ab. Dankbar und ein Kilo Süßigkeiten reicher kehren wir am Abend wieder an die N.E.S.T zurück.
Am nächsten Morgen steht nach langer Pause eine weitere Andacht an, die ich gemeinsam mit Maxie vorbereitet habe. Weil Mittwochs meist weniger gepredigt und mehr gesungen wird, stehen die zwanzig Minuten im Zeichen der Musik.
Den Rest des Tages verbringe ich in der Bibliothek, um damit zu beginnen, meine Buchrezension zu schreiben. 
Libanesische Kabelbruchlösungen
Weil mein Netzkabel spontan beschloss durchzubrechen, bin ich für eine Weile auf einen anderen Computer angewiesen und somit an die vier Wände der Hochschule gebunden. Weil 125 Dollar für ein neues Kabel 125 Dollar zu viel sind, liegt die beschädigte Stromzufuhr bei Toni, den ich darum gebeten habe eine Lösung zu finden. Toni, das ist der Besitzer des kleinen Elektroladens, der sich gleich um die Ecke befindet. Als das reparierte Stück am Abend zur Abholung bereits steht, erzählt mir der Verkäufer den ein oder anderen Schwank aus seinem Leben. Er berichtet von seiner Ehe mit einer Frau aus Hamburg Ende der 70er, schwärmt von einer Kirche irgendwo in der Nähe von Köln und schimpft über den Verfall der libanesischen Währung. Nach einem kurzen Exkurs über die Gemeinsamkeiten von Kölsch und dem libanesischen Bier Almaza verabschieden wir uns mit einem 'Tschüss'.
Neben den üblichen Seminaren und dem wöchentlichen Besuch im Flüchtlingslager stand in der letzten Woche die Arbeit an der Buchzusammenfassung im Vordergrund. Gestern Abend habe ich das zehnseitige Dokument erfolgreich abgeschickt und somit immerhin die erste schriftliche Aufgabenstellung des Sommersemesters hinter mir.
Nachdem es im vergangenen Semester wöchentlich die Möglichkeit gab, in der 'Art Lounge' zu basteln und zu malen, wird nun ein neues Programm an der Hochschule geboten: Jeden Donnerstag gibt es seit letzter Woche die Möglichkeit, im Drama Workshop die Grundlagen und Möglichkeiten des Theaters kennenzulernen. Im Vordergrund stehen keine großen Stücke, sondern eher kurze Sequenzen, Sprechtechnik und Körpergefühl. Im überdimensionierten Auditorium, das viel zu selten genutzt wird, setzen wir uns in der ersten Woche mit Bewegung und unserer Position auf der Bühne auseinander. Eine gute Gelegenheit, auch ohne die sich wiederholenden Gespräche am Abendbrottisch miteinander in Kontakt zu kommen – Ich bin gespannt auf die kommenden Sitzungen in den nächsten Wochen.
Zeit für neue Post! 
Auch am Wochenende verbringe ich einen Großteil meiner Zeit in Cafés und Bibliotheken, am Samstagabend aber machen es sich Maxie und ich bereits zum dritten Mal mit Harry Potter und Mikrowellenpopcorn gemütlich, um den zweiten Teil der Filmreihe anzusehen. Bei einem kleinen Shoppingausflug durch Hamra bin ich nicht nur bei einem American-Eagle-Einkauf endlich erfolgreich, sondern entdecke auch die Möglichkeiten einer kleinen Parfümerie, in der man sich seinen eigenen Duft zusammenstellen kann. Neugierig und etwas zurückhaltend betreten Maxie und ich den Laden, in dem zahlreiche leere Flacons ausgestellt werden. Maxie erklärt dem syrischen Verkäufer, dass wir uns auf der Suche nach einem Waschmittelduft befinden – bevor uns der freundliche Mann wenige Sekunden später einen goldene Flasche öffnet, und strahlend zum Geruchstest einlädt. Sein erster Griff ins Regal war ein ziemlicher Volltreffer – uns zieht ein Duft in die Nase, der tatsächlich an ein starkes Waschmittel erinnert. Womöglich gar ein bisschen zu stark, und eine Prise zu zitruslastig. Also testen wir uns von Flasche zu Flasche, bis sich jede von uns eine eigene Kombination zusammenstellt und für wenig Geld als Duftöl-Roller mit nach Hause nimmt.
Der Geruch von frischer Wäsche
aus dem Duftroller
Eine kleine Entdeckung in einer der Nebenstraßen unseres lauten Viertels.
Die neue Woche beginnt mit den üblichen Kursen und einem Erdbeermarmeladencrêpe mit einer Kaffeebekanntschaft von Maxie.
Am kommenden Wochenende steht im Rahmen des Kurses zum Thema der muslimisch-christlichen Beziehungen ein Treffen mit muslimischen Studierenden auf dem Plan. Außerdem werden wir gemeinsam mit der Hochschule nach Tripoli fahren, um an einem Gottesdienst teilzunehmen, in dem die erste Frau in der protestantischen Kirche des Nahen Ostens offiziell ordiniert wird.
Ob ich eines Tages ebenfalls ordiniert werde, bleibt nach wie vor offen. Toni, der Verkäufer im Elektroladen, konnte sich das nicht so recht vorstellen. „Darfst du dann mal heiraten?“, fragt er mich. Ich nicke. Als er erfährt, dass mein Vater ebenfalls Pfarrer ist, und nach seiner  Ehe zwischenzeitlich eine andere Frau hatte, ist Toni erstaunt. „Was für ein unartiger Pfarrer!“, sagt er und grinst schelmisch. „Well.. Welcome to Protestantism“, antworte ich und blicke auf die vielen kleinen Heiligenbildchen, die sich in seinem vollgestopften Laden befinden.
Wohin mich mein Weg letztlich führt, bleibt offen. Eine Option hat sich im Laufe des heutigen Tages jedenfalls aus der Liste der Möglichkeiten eliminiert: Das Volontariat beim NDR, für das ich mich vor einigen Monaten beworben habe, kommt nach einer Absage, die bereits vor einem Monat fälschlicherweise im Spam-Ordner landete, nicht länger in Frage.
Vielleicht werde ich mich trotzdem in den hohen Norden aufmachen, um dort mein Studium fortzuführen und näher bei Jan zu sein. Oder aber es ergibt sich ein Grund und eine Möglichkeit, in meine kleine Wohnung nach Berlin zurückzukehren. Es bleibt spannend.

PS: Maxie hat in Kooperation mit der ARD eine Kurzdoku über ihr Auslandsstudium gedreht. Wer den Link noch nicht via Facebook erhalten hat, findet das Projekt hier (7 Sekunden Stobbi inklusive).

[Musikalische Titelerläuterungen]: 


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