Montag, 13. Februar 2017

Charbels wissen wer der Babo ist.




Ein sonniger Tag im Zentrum der Stadt
Die zweite Februarwoche und das neue Semester beginnen mit einem Stuhlkreis und einer lebendigen Diskussion. Gemeinsam mit unserer Dozentin Dr. Rima werden wir in den kommenden Monaten über ethische Grundfragen und theologische Ansatzpunkte diskutieren. Während das Ostkirchen-Seminar im vergangenen Semester einer Vorlesung glich, in der wir primär anwesend waren um den Ausführungen unserer Dozentin zu lauschen, sollen in diesem Seminar unsere Meinungen und ein reger Gedankenaustausch im Vordergrund stehen.
Im Anschluss erwartet uns ein Einführungsseminar in die Geschichte der muslimisch-christlichen Beziehungen, das von Islam-Dozent Dr. Ford vermittelt wird.
Nach über vier Monaten im Land hat sich ein Hauch von Routine in den Studienalltag geschlichen. Ich habe Orte gefunden, an denen ich meine Studienlektüre mit einer frischen Minzlimonade genießen kann, und die mir ein zweites Wohnzimmer geworden sind. Wenn ich einigermaßen zuverlässiges Internet benötige, lohnt ein Ausflug ins Orient-Institut.
Apple Crumble, Cappuccino und Lektüre
Da Maxie und ich für den Muttertag mit den Kindern im Flüchtlingslager noch einige Lieder benötige, spaziere ich am Montagmittag in die deutsche Bibliothek, um mit Hilfe von Google und Youtube passende Texte und Melodien herauszusuchen. Außerdem genehmige ich mir ein paar deutsche Polit-Talkshows, für die mir an der Hochschule nicht genug Internet zur Verfügung steht.
Am Abend spazieren Maxie, Lydia und ich in die neue Sprachschule, in der unsere bereits dritte Lehrerin auf uns wartet. Im Gegensatz zu den Unterrichtseinheiten bei den anderen Dozierenden habe ich nun endlich den Eindruck, Sprachunterricht bei einer qualifizierten und motivierten Lehrerin genießen zu können. Auch wenn das Tempo für meinen Geschmack etwas schneller sein dürfte, ist der Unterricht insgesamt wesentlich besser als alles bisher Dagewesene.
Meine vergangene Woche? 251 Seiten Uni-Lektüre
Da wir auch in diesem Semester gefragt sind, jede Menge schriftliche Leistungen für unsere Seminare einzureichen, bleibt keine Zeit für lange Verschnaufpausen. Bereits am Dienstag beginne ich mit der Lektüre eines Buches, das ich für das Seminar von Dr. Ford in einem Essay zusammenfassen soll. “The Crescent through the Eyes of the Cross“ (Der Halbmond durch die Augen des Kreuzes) heißt das Werk von Dr. Nabeel T. Jabbour, das ich im Laufe der Woche in Cafés zwischen Hamra und Gemmayzeh lese. Der arabisch-christliche Autor hat es sich zum selbsterklärten Ziel gemacht, einem christlichen Publikum die muslimische Perspektive auf das Christentum näher zu bringen. Letztlich aber scheint es vor allem um die Frage zu gehen, wie christliche Mission unter Muslimen möglichst fruchtbringend vonstatten gehen kann.
Dass es nicht nur im christlich-muslimischen, sondern auch im innerislamischen Diskurs zu Kommunikationsschwierigkeiten kommen kann, wurde bei einem öffentlichen Gespräch zwischen einem Shiiten und einem Sunniten an unserer Hochschule sichtbar. Im Vorfeld wurde der Dialog auf dem Podium als wichtiger Beitrag zum interkonfessionellen Dialog angekündigt – letztlich aber nutzten die beiden Repräsentanten ihre Redezeit für zwei mehr oder minder unabhängige Monologe. Wenngleich beide Redner die gemeinsamen Werte und Überzeugungen in den Vordergrund ihrer Argumentation stellten, schien ein konstruktiver Austausch mit Raum für Differenzen nicht in ihrem Interesse. Angesichts der starken Spannungen zwischen den beiden Strömungen stand letztlich jedoch die Bereitschaft im Vordergrund, überhaupt einen gemeinsamen Auftritt durchzuführen und ähnliche Standpunkte im Blick auf Werte und Ideale zu vertreten. Eine repräsentative Veranstaltung, die währenddessen von einem TV-Sender aufgezeichnet wurde.
Drei Heilige der Maroniten. In der Mitte: Saint Charbel.
Am Donnerstag feierten die Maroniten, die größte christliche Glaubensgemeinschaft des Landes ihren Namensgeber St. Maron, weshalb Schulen und Universitäten geschlossen blieben. Die Maroniten gehören der katholischen Kirche an und verehren eine Vielzahl von Heiligen. Der wohl bedeutendste aber ist Saint Charbel, ein libanesischer Mönch, der 1977 heiliggesprochen wurde. Der Mann mit langem Bart und Mönchskutte findet sich in Kirchen, Wohnungen und Autos maronitischer Christen wieder. Den Feiertag lassen Maxie und ich bei Bier und Skat mit ihrem maronitischen Bekannten Mark ausklingen. Obwohl sich der junge Pilot nicht als sonderlich religiös bezeichnet, scheint ihm der Heilige alles andere als egal. Als wir wenige Tage später einen Abend in der Wohnung seiner Großmutter verbringen, in der auch er zeitweise lebt, finden wir den Heiligen in jeder denkbaren Ecke. Ob als Figur im Flur, Sticker an der Wand oder Magnet auf dem Kühlschrank: An St. Charbel kommt hier keiner vorbei.
So präsent wie St. Charbel ist in diesen Tagen sonst nur Harry Potter, der Maxie und mir die Abende versüßt. Nachdem Lydia und Maxie in den letzten Monaten die Bücher als Audiofassung rauf und runter gehört haben, beschließen Maxie und ich am Freitagabend, einen kleinen Filmabend in ihrem Zimmer zu veranstalten. Gleich um die Ecke von der Hochschule befindet sich ein kleiner Laden, in dem gebrannte Filme für umgerechnet zwei Euro verkauft werden. Er ersetzt den fehlenden Streaminganbieter oder eine gute, alte Videothek. Mit Mikrowellenpopcorn, Mandalas und dem Orden des Phönix machen wir es uns vor dem Laptop gemütlich. Eine gute Gelegenheit, den Studienalltag zu vergessen und von einer Welt zu träumen, in der man sich sein Essen zaubern kann. Das Abendessen bringt uns im Nichts zurück in die Realität. Zu unserer Freude stellt sich zwischen Schwarztee und undefinierten Speisen aber auch heraus, dass eine Kommilitonin im Besitz der gesammelten Harry Potter Filme ist. Wir beschließen kurzerhand, viele Jahre in die Vergangenheit zu reisen, und das gesamte Werk erneut anzusehen. Zwei Tage später beginnen wir mit dem ersten Teil. Kaum ein Buch hat mich wohl so durch meine Kindheit und Jugend begleitet, wie die Geschichten aus Hogwarts.
Kaffee. Lesen. Schreiben. Repeat.
Die dritte Februarwoche beginnt mit einem gewöhnlichen Uni-Tag, den üblichen Seminaren und der täglichen Andacht. Mit meinen Gedanken bin ich an diesem Montag bei meinem Patenkind und ihrer Familie, die heute vor einem Jahr ihren Vater verloren hat. Der morgige Valentinstag ist ein Trauer- und Feiertag zugleich: Da am 14. Februar 2005 der ehemalige Ministerpräsident Rafiq Hariri ermordet wurde, bleiben alle öffentlichen Einrichtungen wie auch unsere Hochschule geschlossen. Nichtsdestotrotz wird auch hier – ähnlich wie in Deutschland und vielleicht noch eine Spur kitschiger - seit Tagen mit roten Rosen, pinken Bärchen und Schokolade in Herzform für den internationalen Tag der Liebe geworben. Für mich hat der Valentinstag erst im letzten Jahr an Bedeutung gewonnen:  Trotz der vielen Kilometer, die Jan und mich derzeit trennen, feiern wir (zumindest in Gedanken) am 14. Februar anderthalb gemeinsame Jahre.
Ich denke an unsere erste Begegnung im Juni 2008, als wir in Heidelberg beim 23. Geburtstag eines gemeinsamen Freundes aufeinandertrafen. Erinnere mich an stundenlange Telefonate und endlose Nachrichten zwischen Berlin und Adelshofen, bevor der Kontakt für sieben Jahre im Sand verlief. Habe den Moment vor Augen, als wir uns im Juni 2015 beim 30. Geburtstag desselben Freundes wiedertrafen, und die Korrespondenz von vorne begann – dieses Mal mit Happy End. 
„Gehend entsteht und stehend entgeht“ - Ein Satz, der mich seit meiner Oberstufenzeit begleitet und der die vergangenen anderthalb Jahre zwischen Kiel, Berlin und Beirut treffend zu beschreiben scheint. Ich bin sehr dankbar, einen zuverlässigen Partner, Schokoladenlieferanten, Wortspielkünstler, Handyspielprovider, aufmerksamen Zuhörer und außerdem ein weiteres zu Hause in Norddeutschland gefunden zu haben.
Bleibt zu hoffen, dass es mir und uns in den kommenden anderthalb Jahren trotz Reiselust und Bewegungsdrang gelingt, etwas mehr Zeit füreinander zu finden.
Bis dahin aber bleibe ich gespannt auf die kommenden Wochen und Monate in Beirut, in denen der Alltag mich immer wieder zu überraschen weiß und nicht aufhört, unablässig neue Geschichten zu schreiben.
[Wer mit dem Titel auch dieses Mal nichts anfangen kann]:





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen