Ein sonniger Tag im Zentrum der Stadt |
Die zweite Februarwoche
und das neue Semester beginnen mit einem Stuhlkreis und einer
lebendigen Diskussion. Gemeinsam mit unserer Dozentin Dr. Rima werden
wir in den kommenden Monaten über ethische Grundfragen und
theologische Ansatzpunkte diskutieren. Während das
Ostkirchen-Seminar im vergangenen Semester einer Vorlesung glich, in
der wir primär anwesend waren um den Ausführungen unserer Dozentin
zu lauschen, sollen in diesem Seminar unsere Meinungen und ein reger
Gedankenaustausch im Vordergrund stehen.
Im Anschluss erwartet uns
ein Einführungsseminar in die Geschichte der muslimisch-christlichen
Beziehungen, das von Islam-Dozent Dr. Ford vermittelt wird.
Nach über vier Monaten
im Land hat sich ein Hauch von Routine in den Studienalltag
geschlichen. Ich habe Orte gefunden, an denen ich meine
Studienlektüre mit einer frischen Minzlimonade genießen kann, und
die mir ein zweites Wohnzimmer geworden sind. Wenn ich einigermaßen
zuverlässiges Internet benötige, lohnt ein Ausflug ins
Orient-Institut.
Apple Crumble, Cappuccino und Lektüre |
Am Abend spazieren Maxie,
Lydia und ich in die neue Sprachschule, in der unsere bereits dritte
Lehrerin auf uns wartet. Im Gegensatz zu den Unterrichtseinheiten bei den
anderen Dozierenden habe ich nun endlich den Eindruck,
Sprachunterricht bei einer qualifizierten und motivierten Lehrerin
genießen zu können. Auch wenn das Tempo für meinen Geschmack etwas
schneller sein dürfte, ist der Unterricht insgesamt wesentlich
besser als alles bisher Dagewesene.
Meine vergangene Woche? 251 Seiten Uni-Lektüre |
Da wir auch in diesem
Semester gefragt sind, jede Menge schriftliche Leistungen für unsere
Seminare einzureichen, bleibt keine Zeit für lange Verschnaufpausen.
Bereits am Dienstag beginne ich mit der Lektüre eines Buches, das
ich für das Seminar von Dr. Ford in einem Essay zusammenfassen soll.
“The Crescent through the Eyes of the Cross“ (Der Halbmond
durch die Augen des Kreuzes) heißt das Werk von Dr. Nabeel T.
Jabbour, das ich im Laufe der Woche in Cafés zwischen Hamra und
Gemmayzeh lese. Der arabisch-christliche Autor hat es sich zum
selbsterklärten Ziel gemacht, einem christlichen Publikum die
muslimische Perspektive auf das Christentum näher zu bringen.
Letztlich aber scheint es vor allem um die Frage zu gehen, wie
christliche Mission unter Muslimen möglichst fruchtbringend
vonstatten gehen kann.
Dass es nicht nur im
christlich-muslimischen, sondern auch im innerislamischen Diskurs zu
Kommunikationsschwierigkeiten kommen kann, wurde bei einem
öffentlichen Gespräch zwischen einem Shiiten und einem Sunniten an
unserer Hochschule sichtbar. Im Vorfeld wurde der Dialog auf dem
Podium als wichtiger Beitrag zum interkonfessionellen Dialog
angekündigt – letztlich aber nutzten die beiden Repräsentanten
ihre Redezeit für zwei mehr oder minder unabhängige Monologe.
Wenngleich beide Redner die gemeinsamen Werte und Überzeugungen in
den Vordergrund ihrer Argumentation stellten, schien ein
konstruktiver Austausch mit Raum für Differenzen nicht in ihrem
Interesse. Angesichts der starken Spannungen zwischen den beiden
Strömungen stand letztlich jedoch die Bereitschaft im Vordergrund,
überhaupt einen gemeinsamen Auftritt durchzuführen und ähnliche
Standpunkte im Blick auf Werte und Ideale zu vertreten. Eine
repräsentative Veranstaltung, die währenddessen von einem TV-Sender
aufgezeichnet wurde.
Drei Heilige der Maroniten. In der Mitte: Saint Charbel. |
Am Donnerstag feierten
die Maroniten, die größte christliche Glaubensgemeinschaft des
Landes ihren Namensgeber St. Maron, weshalb Schulen und Universitäten
geschlossen blieben. Die Maroniten gehören der katholischen Kirche
an und verehren eine Vielzahl von Heiligen. Der wohl bedeutendste
aber ist Saint Charbel, ein libanesischer Mönch, der 1977
heiliggesprochen wurde. Der Mann mit langem Bart und Mönchskutte
findet sich in Kirchen, Wohnungen und Autos maronitischer Christen
wieder. Den Feiertag lassen Maxie und ich bei Bier und Skat mit ihrem
maronitischen Bekannten Mark ausklingen. Obwohl sich der junge Pilot
nicht als sonderlich religiös bezeichnet, scheint ihm der Heilige
alles andere als egal. Als wir wenige Tage später einen Abend in der
Wohnung seiner Großmutter verbringen, in der auch er zeitweise lebt,
finden wir den Heiligen in jeder denkbaren Ecke. Ob als Figur im
Flur, Sticker an der Wand oder Magnet auf dem Kühlschrank: An St.
Charbel kommt hier keiner vorbei.
So präsent wie St.
Charbel ist in diesen Tagen sonst nur Harry Potter, der Maxie und mir
die Abende versüßt. Nachdem Lydia und Maxie in den letzten Monaten
die Bücher als Audiofassung rauf und runter gehört haben,
beschließen Maxie und ich am Freitagabend, einen kleinen Filmabend
in ihrem Zimmer zu veranstalten. Gleich um die Ecke von der
Hochschule befindet sich ein kleiner Laden, in dem gebrannte Filme für
umgerechnet zwei Euro verkauft werden. Er ersetzt den fehlenden Streaminganbieter
oder eine gute, alte Videothek. Mit Mikrowellenpopcorn, Mandalas und
dem Orden des Phönix machen wir es uns vor dem Laptop gemütlich.
Eine gute Gelegenheit, den Studienalltag zu vergessen und von einer
Welt zu träumen, in der man sich sein Essen zaubern kann. Das
Abendessen bringt uns im Nichts zurück in die Realität. Zu unserer
Freude stellt sich zwischen Schwarztee und undefinierten Speisen aber
auch heraus, dass eine Kommilitonin im Besitz der gesammelten Harry
Potter Filme ist. Wir beschließen kurzerhand, viele Jahre in die Vergangenheit
zu reisen, und das gesamte Werk erneut anzusehen. Zwei Tage später beginnen wir mit dem ersten Teil. Kaum ein Buch hat mich wohl so durch
meine Kindheit und Jugend begleitet, wie die Geschichten aus
Hogwarts.
Kaffee. Lesen. Schreiben. Repeat. |
Die dritte Februarwoche
beginnt mit einem gewöhnlichen Uni-Tag, den üblichen Seminaren und
der täglichen Andacht. Mit meinen Gedanken bin ich an diesem Montag
bei meinem Patenkind und ihrer Familie, die heute vor einem Jahr
ihren Vater verloren hat. Der morgige Valentinstag ist ein Trauer-
und Feiertag zugleich: Da am 14. Februar 2005 der ehemalige
Ministerpräsident Rafiq Hariri ermordet wurde, bleiben alle
öffentlichen Einrichtungen wie auch unsere Hochschule geschlossen.
Nichtsdestotrotz wird auch hier – ähnlich wie in Deutschland und
vielleicht noch eine Spur kitschiger - seit Tagen mit roten Rosen,
pinken Bärchen und Schokolade in Herzform für den internationalen
Tag der Liebe geworben. Für mich hat der Valentinstag erst im
letzten Jahr an Bedeutung gewonnen:
Trotz der vielen
Kilometer, die Jan und mich derzeit trennen, feiern wir (zumindest in
Gedanken) am 14. Februar anderthalb gemeinsame Jahre.
Ich denke an unsere erste
Begegnung im Juni 2008, als wir in Heidelberg beim 23. Geburtstag
eines gemeinsamen Freundes aufeinandertrafen. Erinnere mich an
stundenlange Telefonate und endlose Nachrichten zwischen Berlin und
Adelshofen, bevor der Kontakt für sieben Jahre im Sand verlief. Habe
den Moment vor Augen, als wir uns im Juni 2015 beim 30. Geburtstag
desselben Freundes wiedertrafen, und die Korrespondenz von vorne
begann – dieses Mal mit Happy End.
„Gehend entsteht und
stehend entgeht“ - Ein Satz, der mich seit meiner Oberstufenzeit
begleitet und der die vergangenen anderthalb Jahre zwischen Kiel,
Berlin und Beirut treffend zu beschreiben scheint. Ich bin sehr
dankbar, einen zuverlässigen Partner, Schokoladenlieferanten,
Wortspielkünstler, Handyspielprovider, aufmerksamen Zuhörer und
außerdem ein weiteres zu Hause in Norddeutschland gefunden zu haben.
Bleibt zu hoffen, dass es
mir und uns in den kommenden anderthalb Jahren trotz Reiselust und
Bewegungsdrang gelingt, etwas mehr Zeit füreinander zu finden.
Bis dahin aber bleibe ich
gespannt auf die kommenden Wochen und Monate in Beirut, in denen der
Alltag mich immer wieder zu überraschen weiß und nicht aufhört,
unablässig neue Geschichten zu schreiben.
[Wer mit dem Titel auch
dieses Mal nichts anfangen kann]:
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