Sonniger Blick von meinem Balkon |
Ein weißgrauer Schleier
verdeckt den Himmel über Beirut und es ist ein bisschen schwül, als
mich zauberhafte Neuigkeiten aus Berlin erreichen: Ine, meine
langjährige Wegbegleiterin und enge Freundin ist Mutter geworden.
Die kleine Krabbe – so unser Arbeitstitel der letzten Wochen –
heißt jetzt Lars und schmunzelt müde auf dem Foto, das mich am
Morgen erreicht hat. Ich freue mich sehr, im Laufe der letzten
Monaten nun bereits zum zweiten Mal gefühlt Tante zu werden, und bin
schon sehr gespannt, ihn im Sommer kennenzulernen.
Am vergangenen Donnerstag
feierten die Armenier ihren Heiligen St. Vartan, weshalb sowohl
unsere, als auch die armenische Haigazian-Universität geschlossen
blieben. Kein Grund jedoch, auf den zweistündigen
Arabischunterricht und eine weitere Sitzung an der Amerikanischen
Universität zu verzichten. Am Abend ging außerdem unser
Theaterworkshop mit Atemübungen und viel bewusster Bewegung in eine
zweite Runde.
Das Wochenende wird mit
einer weiteren Stunde Gesang und Geschrei im palästinensischen
Flüchtlingslager eingeleitet. Dieses Mal begleitet uns Sophia, eine
schwedische Kommilitonin, die einen Newsletter über die Aktivitäten
des christlichen Zentrums schreiben soll. Ungünstigerweise ist die
Leiterin des Hauses trotz Verabredung nicht anwesend, und so kommt
es, dass wir an diesem Freitag eine weitere Teilnehmerin in unserem
Klassenzimmer begrüßen. Mittlerweile haben die Kinder klare
Song-Favoriten, wenngleich die Lieder zum Muttertag noch immer im
Vordergrund stehen. Um nicht dreißig Minuten lang die gleichen drei
Zeilen zu singen, wechseln wir die Muttertagsmelodien mit Liedern
über eine Busfahrt, fünf Affen und den Körperteilen auf Englisch
ab.
Dass auch mein eigener
Körper momentan wieder nach mehr Aufmerksam ruft, wird mir im Laufe
des Tages deutlich. Ich versuche, mit einigen Yogaübungen und etwas
Sport auf nicht enden wollende Schmerzen zu reagieren – beschließe
aber dennoch, einige Tage später einen Termin beim Arzt zu
vereinbaren. Wenngleich ich über jeden Moment in diesem Land sehr
dankbar bin, wird mir dennoch langsam bewusst, dass es Zeit wird
einen Ort zu finden, an dem ich mich für einen längeren Zeitraum
niederlassen kann, um meine körperlichen Beschwerden ernsthaft
anzugehen anstatt sie länger zu vernachlässigen.
Wie im Vorhinein geplant
und angekündigt, steht am kommenden Nachmittag ein Besuch einiger
muslimischer Studenten auf dem Plan, die uns an der Hochschule
besuchen. Die Gruppe ist Teil der Adyan-Stiftung, die sich für
interreligiösen Dialog im Libanon einsetzt. Bereits beim gemeinsamen
Mittagessen kommen wir mit einigen Studentinnen ins Gespräch, das
wenig später in aller Ausführlichkeit bei Kaffee und Keksen
fortgesetzt wird. Ich bin beeindruckt und auch einigermaßen
erstaunt, von einem hohen Maß an Offenheit und Selbstkritik, das zu
spannenden Diskussionen führt. Dankenswerterweise schlägt Lydia
vor, die Gespräche in eine weitere Runde gehen zu lassen, und so
hoffe ich sehr, dass wir uns in Kürze erneut mit einigen Teilnehmern
treffen werden.
Den Abend lassen Maxie,
Mark, Jad und ich mit karamellisiertem Popcorn und dem Film
„Manchester by the Sea“ im Kino ausklingen. Ein ruhiger Film mit
einer traurigen Geschichte, der mich dank unaufgeregter Alltagskomik
trotzdem immer wieder zum Lachen bringt. Wenig später beschließen
Mark und Jad außerdem, Maxie und mich auf eine Überraschungsrunde
in einer nahe gelegenen Spielhölle einzuladen. Meine Begeisterung
hält sich zunächst in Grenzen, bis wir in einen kinoähnlichen Saal
geführt werden, der eine Leinwand und Sitze mit Anschnallgurten für
uns bereit hält. Angeschnallt und mit aufgesetzten 3D Brillen geht
es los: Eine Welt voller Monster eröffnet sich uns auf dem
Bildschirm, die mithilfe von Laserpistolen abgeschossen werden
müssen. Aus 3D wird schnell 4D, als sich unsere Sitze passend zur
Handlung bewegen, und den Eindruck erwecken, wir befänden uns
inmitten der Szenerie. Wenn es etwas gibt, worin ich wahrlich nicht
geübt bin, dann sind es Videospiele – und so verliere ich wenig
überraschend Runde für Runde, während ich gegen Werwölfe und
Monster kämpfe. Zwischenzeitlich fällt kurzerhand der Strom aus,
weshalb wir ein weiters Spiel aufs Haus spendiert bekommen. Ein
aufregendes Ende eines gelungenen Tages.
Der nächste Nachmittag
steht im Zeichen der protestantischen Kirche von Syrien und Libanon,
die an diesem Sonntag die erste Ordination einer Frau zelebriert.
Rola Sleiman hat 1997 ihr Studium an der N.E.S.T abgeschlossen, und
seither in einer Gemeinde in Tripoli gearbeitet. Zwanzig Jahre später
erhält sie nun endlich das Recht und die Möglichkeit, als
'vollwertige' Pastorin arbeiten zu dürfen. Ein großer Tag, der mit
einer kitschigen Torte, dröhnendem Feuerwerk und einem fantastischen
Büffet gefeiert wird.
Die neue Woche startet
mit einem Besuch im Orientinstitut, weil wir bis zum Ende der Woche
eine kurze Evaluation unseres Zusammentreffen mit den muslimischen
Studierenden verfassen müssen. Also schreibe ich, und lade
währenddessen einige Rapperinterviews herunter. Wer sich auch nur im
entferntesten für diese Form der Unterhaltung begeistern kann,
sollte sich übrigens das ein oder andere Interview mit MC Bogy auf
dem Youtube-Channel 'TV Strassensound' unter keinen Umständen
entgehen lassen. Es ist mir jedes Mal aufs Neue eine große Freude.
Langsam scheint sich der
Frühling auf den Straßen von Beirut seinen Platz zu verschaffen.
Der Regen wird weniger, die Temperaturen steigen. Ich hoffe, dass
geschlossene Schuhe und leichte Winterjacken in Kürze zu
Kleiderschrankrelikten verkommen werden. Mit Beginn der Fastenzeit
steigt langsam die Vorfreude auf Ostern und den bevorstehenden Besuch
aus Deutschland.
Zeit, sich ein wenig
Gedanken über mögliche Reiseziele und Übernachtungsorte zu machen,
um während der Osterferien möglichst viele Ecken des Landes
besichtigen zu können. Bis dahin aber bestimmt der libanesische
Alltag die Zeit, die hier wie im Flug zu vergehen scheint.