Montag, 28. November 2016

Rendezvous in Beirut.


Spaziergang zu den Taubenfelsen
Nachdem ich den vergangenen Montag mit Meerblick und Blogschreiben verbracht habe, mache ich es mir am Abend im Airbnb gemütlich und freue mich über das unbegrenzte Internet, während ich auf Jan warte, der kurz vor Mitternacht in Beirut landet. Wenig später klopft es an der Tür, und ich bin sehr glücklich, Jan nach zwei Monaten endlich wieder in die Arme schließen zu können. Erfreulicherweise habe ich für den kommenden Tag keinerlei Termine, da am 22.11 der Unabhängigkeitstag des Landes gefeiert wird.
Wir begeben uns auf einen langen Spaziergang in die Stadt, besichtigen die Al-Amin Moschee und die wiederaufgebaute Innenstadt, die für Libanesen derzeit nicht zugänglich ist und eher an eine Filmkulisse, als an ein belebtes Stadtzentrum erinnert. Später machen wir es uns in meinem neuentdeckten Café in Gemmayzeh gemütlich, trinken Kaffee und lassen die ersten gemeinsamen Eindrücke sacken.
Außerdem zeige ich Jan die N.E.S.T – den Dreh- und Angelpunkt meines derzeitigen Alltags. Mit einer eigenen Küche im Apartment genieße ich es, mich nach zwei Monaten libanesischer Kantine von Jan bekochen zu lassen, und freue mich, endlich mal wieder bissfeste Pasta anstatt von weichgekochter Spaghetti serviert zu bekommen.
Am Mittwoch gehe ich meinen universitären Pflichten nach, und lasse Jan für die tägliche Andacht und 2 ½ Stunden Ostkirchen-Seminar im Apartment zurück.
Streetart in Beirut
Am Abend fahren wir gemeinsam mit Maxie und Lydia nach Mar Mikhael, um Lydia und Jan den zweiwöchentlich stattfindenden Rap- und Hip-Hop-Abend vorzustellen. Nachdem Maxie und ich inzwischen bereits drei Mal an der Veranstaltung teilgenommen haben steht fest: Die Szene ist mehr als überschaubar und das lyrische Programm der Rapper zeigt von Woche zu Woche wenig Veränderungen. Überrascht bin ich allerdings, als sich herausstellt dass einer der regelmäßig anwesenden Rapper hauptberuflich Blumenverkäufer ist. Woche für Woche steht er mit einer Vase Rosen auf der Bühne, in einer der vergangenen Wochen nahm er als Teil seiner Performance einen großen Schluck Wasser aus dem Gefäß – und so ging ich davon aus, dass die Rosen nicht mehr als ein Markenzeichen seien. Dank der Übersetzung von Nabil, der wenig später zu uns stößt, stellt sich jedoch heraus, dass er die Rosen nicht grundlos mit sich herumträgt. Als wir etwas später die Bar wechseln, läuft der Rapper zwei Mal an uns vorbei, und bietet uns seine Rosen zum Verkauf an. Ein trauriges Bild, mit dem ich nicht gerechnet habe.
Am kommenden Morgen steht eine weitere Stunde Einführung in den Islam auf dem Programm, bevor ich mich mit Jan auf einen Spaziergang ans Meer begebe, und wir zu den Taubenfelsen spazieren. Die Sonne scheint uns ins Gesicht, und ich bin nach wie vor jeden Moment dankbar, dem deutschen Winter entflohen zu sein.
Novembersonne an der Corniche
Weil ich am frühen Abend Arabischunterricht habe, machen Jan und ich uns mit dem Taxi auf den Weg nach Gemmayzeh. Unser Taxifahrer, Husayin, stellt sich als äußerst freundlich und hilfsbereit dar – erzählt von seinen Schwestern in Dänemark und Deutschland und hat uns wenig später in seine Familie aufgenommen. Er bietet uns an, uns für Tagesausflüge durchs Land zu fahren und Jan am Tag seiner Abreise zum Flughafen zu bringen. Letzteres Angebot klingt für Jan vielversprechend, der auf der Hinreise an einen Taxifahrer geraten war, der für die Fahrt in die Stadt deutlich zu viel Geld verlangt hatte. 
Nach drei Stunden intensiven und langwierigen Stunden Arabischunterricht mit einer deutlich kleineren Klasse als sonst, esse ich in Gemmayzeh mit Jan zu Abend, der während des Unterrichts im Café auf mich gewartet hat.
Der Freitag ist der einzige Tag, an dem ich keine Termine oder Seminare habe und den wir für einen Ausflug nach Byblos nutzen können. 


Kreuzfahrerburg "Gibelet"
Aufgrund des katastrophalen Verkehrs dauert es über drei Stunden, in das nur 40 Kilometer entfernte Städtchen am Meer zu gelangen. Wir besuchen die Kreuzfahrerburg und eine maronitische Kirche, laufen durch den touristischen Souk in dem überraschenderweise vor allem Frauen ihre Ware anbieten und essen in einem Restaurant zu Abend, in dem es wieder ein Mal mehr Mitarbeiter als Gäste zu geben scheint.

Byblos





Für Jan, der sich vegan ernährt, ist die libanesische Küche eine Genugtuung. Die arabische 'Mezze' – eine Reihe kleiner Vorspeisenteller (wie beispielsweise Hummus, Auberginenpaste, Shakshuka, Oliven, Bohnen usw.), serviert mit Brot und Salat, kann man sich selbst zusammenstellen. Die Speisekarte bietet eine Vielzahl veganer Köstlichkeiten, die es Jan ermöglichen, problemlos auf tierische Produkte zu verzichten und sich dennoch reichhaltig zu ernähren.



Beleuchtete Ausgrabungen in Byblos





Auf dem Rückweg zur Hauptstraße passieren wir archäologische Ausgrabungen der Stadt, die anlässlich zur Weihnachtszeit mit grellen Lichterketten verziert sind.

Laute elektronische Weihnachtsmusik und ein riesiger Weihnachtsbaum vervollständigen das kitschige Bild, das den vielen begeisterten libanesischen Besuchern zu gefallen scheint. Sie nutzen die bunten Weihnachtskugeln und leuchtenden Bäume für ausgiebige Foto-Sessions mit der ganzen Familie. Obwohl Strom eine absolute Mangelware im Land ist, scheint die Weihnachtsbeleuchtung zum Pflichtprogramm zu gehören.



Lebkuchenhäuser auf dem Weihnachtsbasar
Auch der Samstag steht ganz im Zeichen der Vorweihnachtszeit: Endlich findet der Weihnachtsbasar der deutschen Gemeinde statt, den Maxie, Lydia und ich in den vergangenen Wochen mit vorbereitet haben. Während Lydia am Würstchen- und Sauerkrautstand steht, verkaufen Maxie und ich Stollen und Lebkuchen von Bahlsen.






Weihnachtsbasar der deutschen Gemeinde
Obwohl die Produkte im Vergleich zu Deutschland für beachtliche Preise verkauft werden (ein Stollen = 10 Euro), sind die libanesischen Besucher kaum zu stoppen. Eine Käuferin lässt sich Zimtsterne, mit Marmelade gefüllte Herzen und Bratapfelstollen im Wert von über 230 Euro von mir in Plastiktüten packen. Auch Rascha, meine ehemalige Mitbewohnerin aus Berlin kommt mit einem Freund vorbei.
Eine weitere Gelegenheit, sich kurz zu unterhalten.
 Den späten Nachmittag und Abend verbringen Jan und ich in aller Gemütlichkeit, zwischen süchtig machendem Handy-Spiel und Lieferservice-Pasta in unserem Apartment. Am Nachmittag telefoniert Jan kurz mit Taxifahrer Husayn, der kurzerhand vorbeikommt um den Preis und weitere Modalitäten vor Ort abzusprechen, bevor er kurz vor 1 Uhr nachts erneut vor unserer Zimmertür steht, um Jan bereits zurück zum Flughafen zu bringen.





Ich verbringe die letzte Nacht allein im Apartment, bevor ich mich am Sonntag wieder vom unbegrenzten Wifi und der ruhigen Umgebung verabschieden muss, und mich – zusammen mit dem neuen Norah Jones Album, Samba-Schokocreme und dem Magazin, in dem kürzlich mein erster Text mit Dharas Illustrationen veröffentlicht wurde – auf den Weg zurück an die N.E.S.T mache. Am Sonntag finde ich endlich Zeit, meine Bewerbung für den NDR abzuschicken und mir einen Plan für die kommende Woche zu machen.
7up-Assoziation à la Jan

Am heutigen Montag habe ich am Vormittag der Leiterin des JCC (Joint Christian Committee) einen Besuch abgestattet, um mich über freiwillige Einsatzmöglichkeiten in ihrer Einrichtung im palästinensischen Flüchtlingslager zu informieren. Voraussichtlich werde ich in der kommenden Woche mit Maxie erneut nach Sabra und Shatila fahren, um zu entscheiden, mit welcher Altersgruppe und in welchem Bereich wir unseren Freiwilligendienst fortführen möchten. Momentan liebäugele ich vor allem mit der Arbeit im Kindergarten, da es mir mit Kindern am leichtesten zu fallen scheint, eine neue Sprache zu erlernen. Den Nachmittag verbringe ich mit Lydia im gemütlichen Café T-Marbouta.


Weihnachten in Byblos
Während in Deutschland Weihnachtsmärkte mit Glühwein, Lebkuchen und Mariah Carey für weihnachtliche Stimmung sorgen, ist es bei herbstlichem Sonnenschein eine kleine Herausforderung, ein wenig Advent in den Alltag zu zaubern. Mit Wichteln, Weihnachtschor und vorweihnachtlichen Bastelaktionen gibt sich das 'Social-Committee' der Hochschule allerdings größte Mühe, auch im Libanon den Advent gebührend zu zelebrieren.

Bis Weihnachten stehen uns - wie bereits in den vorigen Wochen - jede Menge Ausflüge bevor: Am Mittwoch werden wir uns auf einem Ausflug in eine Kirche und ins Museum mit dem Schicksal der armenischen Bevölkerung und Kirche befassen, bevor wir am Samstag nach Sidon fahren, um mit unserem Islam-Kurs ein Sharia-Gericht zu besuchen. So wird mein Advent nicht nur eine Zeit der Erwartung und Vorbereitung, sondern voraussichtlich auch eine Zeit mit vielen neuen Eindrücken und Erfahrungen.

Montag, 21. November 2016

Wiedersehen und Weitergehen.



Acht Jahre sind inzwischen vergangen, seit ich mein Abitur verliehen bekam und Berlin zum ersten Mal verließ. Viele Schulfreundschaften sind geblieben, einige Kontakte aber sind verloren gegangen oder blieben nur lose bestehen. Am vergangenen Wochenende sollten sich nach all den Jahren gleich zwei Wege plötzlich wieder kreuzen. Völlig überraschend erreichte mich eine Nachricht meines Schulfreundes Simon, der in den letzten zwei einhalb Jahren in Dubai als Unternehmensberater tätig war und für einen Wochenendtrip nach Beirut kam. Bei Bier, Wein und Linsensuppe konnten wir uns gegenseitig auf den neusten Stand der Dinge bringen und ein wenig in alten Zeiten schwelgen.
Wiedersehen mit Simon
Ins Gespräch vertieft nahm ich zuerst kaum wahr, als mir plötzlich eine Hand auf die Schulter tippte. Überrascht durfte ich wenig später feststellen, dass vollkommen zufällig meine ehemalige Mitbewohnerin Rascha vor mir stand, mit der ich vor acht Jahren in einer WG wohnte und seither nicht mehr gesehen habe. Weil ihre gesamte Familie ursprünglich aus Syrien kommt, habe ich in der Zwischenzeit oft an sie gedacht, wenn ich mit Schrecken die Nachrichten aus der Region verfolgt habe. Deshalb freut es mich enorm, plötzlich zu erfahren dass sie inzwischen für eine NGO im Norden des Landes arbeitet und regelmäßig in Beirut zu Besuch ist. Ich bin sehr gespannt darauf, in naher Zukunft bei einem gemeinsamen Kaffee mehr zu erfahren.

Das zweite Novemberwochenende bietet nach zahlreichen Ausflügen endlich Gelegenheit, ein wenig zu entspannen. Ich verbringe viele Stunden im Gemeinschaftsraum, um Arabisch zu lernen und Artikel für die kommenden Unterrichtsstunden vorzubereiten.
Autofreie Zone in Hamra
Am Samstagabend werden die Bewohner Hamras mit lautem Gedröhne und Megafon von der Polizei aufgefordert, ihre Autos umzuparken, um die Straßen für den Marathon des kommenden Morgens freizumachen. Bis in die Nacht wechseln sich Polizei und Abschleppwagen mit Ankündigungen und Maßnahmen ab, bis die Straße leer und ruhig ist.


Am nächsten Morgen wachen wir in einem autofreien Hamra auf – ein wahrlich seltener Anblick und eine Erholung für unsere Ohren, die sich langsam an den immerwährenden Straßenlärm gewöhnt haben. Die neue Woche beginnt mit einem Ausflug ins Orient-Institut, das bedauerlicherweise geschlossen hat. Trotzdem setzen wir uns für eine Weile in den Garten der Einrichtung, um ein paar kurze Videos für Maxie zu drehen, die als Daad-Korrespondentin eine Kurzreportage ihres Studienalltags für die ARD dreht. 
Kulisse für Maxie's kurze Reportage


 Weil die Bibliothek des Orient-Instituts aufgrund einer geschlossenen Veranstaltung nicht für uns geöffnet ist, begeben wir uns in ein hübsches Künstlercafé, das sich unweit unserer Hochschule befindet. 







Fragwürdige Literatur in Ashrafiyeh
Nach einem Wochenende an der N.E.S.T kann ich einen kleinen Tapetenwechsel gut gebrauchen,  und erkunde deshalb mit Maxie am Abend das feine Viertel Ashrafiyeh bei einem Besuch in einem 'Organic-Store' – der sich von einem Berliner Bioladen kaum unterscheidet – und einem Kurzausflug in eine riesige Shoppingmall, in der sich die geliftete und nasenoperierte Elite der Stadt trifft, um in teuren Geschäften ihr Geld auszugeben. Am Mittwoch halten Maxie und ich bereits unsere vierte Andacht, die sich mit Dietrich Bonhoeffer befasst und zu unserer Freude bei den anderen Studierenden gut ankommt. 

Am Nachmittag besuchen wir eine griechisch-katholische Kirche auf dem 'Kirchenberg' Harissa, der ein wenig an den Ölberg erinnert.  Die prächtige Kirche wird derzeit renoviert, und einer der Restaurateure schenkt jedem von uns einen goldenen Mosaikstein zur Erinnerung.
Neben der Kirche befindet sich außerdem ein griechisch-katholisches Priesterseminar, in dem wir bei einem Kaffee mit dem Dekan der Einrichtung sprechen. Der freundliche Gesprächspartner ist offen für all unsere Fragen und strahlt im Gespräch eine sehr angenehme Ruhe aus. Insgesamt fällt mir bei unseren vielen Begegnungen auf, dass die geistlichen Vertreter nicht nur sehr freundlich, sondern auch äußerst eloquent und gebildet sind. 
Den Abend verbringen Maxie und ich in Mar Mikhael. Dort treffen wir Jad, den wir auf unserer Stadtführung durch Beirut kennengelernt haben, und der in einem kleinen Café in dem angesagten Viertel arbeitet. Außerdem kommt wenig später auch Nabil hinzu, ein Druse, den Maxie vor kurzem kennengelernt hat. 
Jad erzählt uns, dass er der einzige libanesische Mitarbeiter ist und das Café vor allem von Syrern besucht wird, die dort gern gesehen sind. Jad freut sich, dass er durch die neuen Kontakte mit Syrern sein Arabisch aufpolieren kann. Immer wieder wird deutlich, dass im Libanon der französische und englische Einfluss derart groß ist, dass Libanesen auch untereinander häufig einen Mix aus den drei Sprachen sprechen. Mit den Syrern hingegen, berichtet er, lernt er zum ersten Mal einige Begriffe auf Arabisch, die er bisher nur auf Französisch kennt.
Wackelige Renovierungsarbeiten.. 


Maxie's drusischer Freund hingegen ist weniger erfreut über die Welle der zahlreichen Flüchtlinge, und nimmt vor allem die von Armut gezeichneten Veränderungen im Stadtbild wahr.
Nach einem spannenden und lustigen Abend bringt uns Nabil mit seinem schicken Auto nach Hause. Eine nette Alternative zu Bus Nummer 4. 
Auf der Suche nach Orten, an denen man in der Stadt ungestört lesen und lernen kann, bin ich auf eine Mischung aus Café und Bibliothek gestoßen, das im Internet von einigen Besuchern hoch gelobt wird. Adressangaben sind in Beirut meist eher wage, und so dauert es eine Weile, bis wir das Café letztlich finden. 

Völlig versteckt im zweiten Stock eines Bürogebäudes betreten wir die kleine Bibliothek, in der es außerdem guten Kaffee und vegetarische Speisen gibt. Ein kleiner Diamant inmitten von Beirut, auf den wir ohne den Hinweis im Internet nie gestoßen wären. Wir genießen die Novembersonne bei einem Cappuccino und lernen die neusten Vokabeln für unsere anstehende erste Arabischklausur. Nach drei Wochen steht unsere 'mid-term' Exam an, die unser Lehrer einigermaßen demotiviert verteilt, bevor er für eine ganze Weile den Raum verlässt. Noch sind wir auf der Suche nach einem wirklich qualifizierten Lehrer, der die Sprache nicht nur beherrscht sondern auch unterrichten kann. Allem Anschein nach nutzen einige junge Menschen den Arabischunterricht als Möglichkeit, um Geld zu verdienen, ohne tatsächlich als Lehrer ausgebildet zu sein. 

Im Dezember werden wir einige Wochen privat bei einem Studenten der N.E.S.T lernen – für das kommende Jahr müssen wir uns wohl eine neue Option überlegen. Denn nicht nur der wenig qualifizierte Lehrer, auch die dreistündigen Lehreinheiten scheinen mir letztlich nicht wirklich effizient. Dennoch machen wir alle Fortschritte, lernen viele neue Wörter und merken, dass wir immer mehr verstehen. Das selbst sprechen hält sich bislang jedoch noch sehr in Grenzen. 


Am Freitag widmen sich Maxie und ich erneut der deutschen Gemeinde. Wir dekorieren jeweils ein weiteres Lebkuchenhaus und ich binde einen Adventskranz aus frischen Zweigen. Am kommenden Samstag steht der Weihnachtsmarkt bevor, der offenbar das Highlight des Jahres darstellt und von vielen Libanesen sehnsüchtig erwartet wird. Wer unsere Lebkuchenkunst erwerben will, muss allerdings tief in die Tasche greifen: 40 Dollar kostet eines der hausgemachten Häuser. Das letzte Wochenende hielt wenig Schlaf und umso mehr Eindrücke für uns bereit: Am Samstag scheucht mich mein Wecker bereits um 5:45 Uhr aus dem Bett.



Mit einer muslimisch-christlichen Gruppe Akademikerfrauen begeben wir uns auf eine Reise in den hohen Norden. 

Wir frühstücken in Tripoli, und begegnen in zwei Dörfern der Akkar-Ebene religiösen und politischen Vertretern, die sich für den Dialog zwischen Christen und Muslimen stark machen. „Mary's path“ nennt sich das interreligiöse Forum, das die Reise anbietet, und die heilige Maria nicht nur als starke religiöse Frauenfigur verehrt, sondern auch als Bindeglied zwischen Muslimen und Christen versteht.

Bereits auf einem früheren Ausflug nach Harissa durften wir lernen, dass Maria auch für Muslime eine wichtige religiöse Rolle spielt und vielfach verehrt wird. Unser Ausflug wird von einem christlich-libanesischen Fernsehsender begleitet. Dementsprechend formell erscheinen die Gespräche mit den politischen und religiösen Vertretern auf den Podien. Trotz des offiziellen Charakters ist es sehr spannend, nur wenige Kilometer von der syrischen Grenze einige Eindrücke zu sammeln und zu erleben, wie bemüht man um ein friedliches Zusammenleben scheint.
Gerade die Grenzregion ist von der Flüchtlingskrise deutlich betroffen, in einem der Dörfer das wir besuchen leben seit kurzem neben 12.000 Libanesen zusätzliche 8.000 syrische Geflüchtete. Zahlen, die in Deutschland unvorstellbar scheinen und im Alltag ohne laufende Fernsehkameras vermutlich deutlich kontroverser diskutiert werden.


Nach zahlreichen Gesprächen auf Arabisch mit Simultanübersetzung rauchen unsere Köpfe. Bei orientalischen Klängen und einem umfangreichen Essen kommen wir mit einigen Teilnehmerinnen der Reisegruppe ins Gespräch. Viele arbeiten als Dozentinnen und Professorinnen an Universitäten im Libanon, andere leben seit langer Zeit im Ausland und sind nur zu Besuch im Lande. Auf dem Rückweg nach Beirut besuchen wir zu guter Letzt ein Kloster des Carmeliterordens, in dem es auch ein großes Insektenmuseum gibt. Zu diesem Zeitpunkt bin ich aber bereits dermaßen müde, dass mir für Schmetterlinge und Käfer die Nerven fehlen. 

Am nächsten Morgen geht es nach einer kurzen Nacht zurück in den Reisebus, auf zum nächsten Kirchen- und Klosterbesuch. Wir erleben einen zweistündigen griechisch-orthodoxen Gottesdienst im Balamand-Kloster, und besuchen im Anschluss nicht nur das theologische Priesterseminar, sondern auch die riesige Balamand-Universität. Da wir im Rahmen unseres Einführungskurses in die Ost-Kirchen mehrere Gottesdienstberichte verfassen müssen, mache ich mir während des Gottesdienstes zahlreiche Notizen. So fällt es leichter, die zahlreichen Eindrücke in Erinnerung zu behalten, und nicht allzu sehr mit meinen Gedanken abzuschweifen. Der Ablauf der langwierigen Messe ist mir sehr fremd und dennoch unterhaltsam, und fühlt sich ein wenig an wie ein buntes Theaterspiel.
Der Patriarch und sein Portrait
Anlässlich des anstehenden Unabhängigkeitstages ist der griechisch-orthodoxe Patriarch von Antiochien gemeinsam mit einigen Bodyguards aus Damaskus angereist, und macht es sich nach dem Gottesdienst unter seinem eigenen Portrait bei einem Kaffee gemütlich. Nach einer Führung durch das Seminar, vorbei an Tischtennis spielenden Priesterstudenten, führen wir ein langes Gespräch mit einem Geistlichen, der uns in eindrücklicher Weise mit den Herausforderungen der hier lebenden Christen konfrontiert. 
Dass die Kriege im Irak und in Syrien tausende Christen fliehen lässt, lässt die hier lebenden Christen mit Furcht in die Zukunft blicken. Auch hier wird im Gespräch deutlich, dass sich viele christliche Libanesen im Blick auf die Flüchtlingsfrage in einem Dilemma befinden: Einerseits sind ihnen die Gründe der Flucht bewusst, gleichzeitig fürchten sie den Schwund der christlichen Bevölkerung. 


Immer wieder wird an uns Deutsche in Gesprächen appelliert und darum gebeten, die Einwanderung nach Deutschland nicht noch leichter zu machen, um Christen davon abzuhalten, das Land zu verlassen. Es sind Gespräche, die mich dazu anregen, mein eigenes Verständnis der Flüchtlingsthematik in Deutschland zu überdenken und die auch unter uns Studierenden zu langen Diskussionen führen. Das Gespräch mit dem Geistlichen hat mich sehr bewegt, weil in seinen Aussagen deutlich wurde, dass für ihn 'Christsein' wenig mit Mission und wesentlich mehr mit menschlichem Handeln und politischem Engagement zu tun hat. Eine Haltung, die ich unter einigen 'Vorzeigechristen' immer wieder vermisse.



Auch an diesem Tag endet unser Ausflug mit einem weiteren Klosterbesuch auf dem Rückweg nach Beirut. Wir blicken auf das türkisblaue Mittelmeer, während uns Dr. Rima von der Legende erzählt, nach der an diesem Ort ein Schiff vor dem Untergang bewahrt wurde, nach dem den Reisenden Maria erschienen war.

Balamand-Universität
Müde kehren wir letztlich nach Beirut zurück, um den Abend bei einer Stunde Chor mit Lydia, der Frau des Hochschulpräsidenten, abzurunden. Für den Weihnachtsgottesdienst bereiten wir einige Stücke vor, und da Lydia früher als Musiklehrerin und Chorleiterin tätig war, nimmt sie ihren Job äußerst ernst und unterrichtet alle Gesanggruppen in Einzelstunden.

Trotz übermäßiger Müdigkeit nach zwei vollen Tagen fällt es mir nicht leicht einzuschlafen, da ich den kommenden Tag freudig und ein bisschen aufgeregt erwarte. Jan befindet sich momentan auf dem Weg nach Beirut, während ich bereits in unsere zauberhafte Unterkunft für die Woche eingecheckt bin und den Tag dazu nutze, die vielen Eindrücke der vergangenen Woche bei einer 7up mit Blick auf das tosende Meer mit euch zu teilen. 

Meine Unterkunft für die kommende Woche
Ich freue mich sehr darauf, Jan nach nahezu zwei Monaten wiederzusehen, und habe auch nichts dagegen, mich eine Woche etwas aus dem Leben an der N.E.S.T auszuklinken. Dennoch stehen einige Treffen und Aktionen wie der Weihnachtsmarkt auf dem Programm, die unsere Woche sicherlich recht klar strukturieren werden. 
Ich freue mich darauf, Jan für wenige Tage an meinem derzeitigen Leben teilhaben lassen zu können, und bin gespannt, wie es ihm in diesem chaotischen und komplizierten Land gefällt. Morgen wird im Libanon der Unabhängigkeitstag gefeiert – eine gute Gelegenheit den Uni-freien Tag zu nutzen, um das Geschehen auf den Straßen zu beobachten und Jan gleich am ersten Tag mit dem politischen Wirrwarr des Landes zu konfrontieren. „Maxie und du hättet lieber Politikwissenschaften an der American University studieren sollen, anstatt von Theologie an der N.E.S.T“, sagte mir heute ein Medizinstudent beim Mittagessen mit einem Schmunzeln. 
Es ist bereits das zweite Mal, dass ich ihn mit Fragen zur politischen Lage zu überschütten scheine. So sehr mich das theologische Studium der Kirchen fasziniert, hat er dennoch nicht völlig unrecht: Tatsächlich kann ich mich an keinen Auslandsaufenthalt erinnern, bei dem ich derart neugierig darauf war, möglichst viel über die politischen Hintergründe und Zusammenhänge zu erfahren. Ich bin gespannt, welche Geschichten mir und Jan in der kommenden Woche begegnen werden.

Freitag, 11. November 2016

Mauern, Brücken und jede Menge Mist.



Zum dritten Mal standen Maxie und ich am vergangenen Freitag vor den Jungs und Mädchen im palästinensischen Flüchtlingslager, um Englisch zu unterrichten. Wir starten mit dem Lied „Head, shoulders, knees and toes“ - singen mit und zeigen passend zur Musik auf die entsprechenden Körperteile. Die Kinder scheinen begeistert, singen laut mit und machen freudig die Bewegungen nach. Im Anschluss versuchen wir unser Glück mit Frontalunterricht, lassen die Schüler die Körperteile buchstabieren, bevor sie die Begriffe in ihre Hefte schreiben. Während uns die Kinder in der vergangenen Woche keine ruhige Minute gelassen hatten, verließen wir das Lager an jenem Tag mit einem guten Gefühl: Dieses Mal gelang es uns wesentlich besser, die Gruppe in Zaum zu halten, Inhalte zu vermitteln und gleichzeitig Spaß an der Arbeit zu haben. Dennoch war dies bedauerlicherweise der letzte Besuch in der Klasse der 5-10 Jährigen. 
Blick auf das Wadi Qadisha
Unsere Universität hat den Wunsch geäußert, aufgrund der Sicherheitslage im Flüchtlingslager den Freiwilligendienst über eine Einrichtung laufen zu lassen, die von der Hochschule vermittelt wurde. In unserem Fall erhielten wir den Kontakt zur NGO über eine Studentin. Da vor Ort keine Person anwesend ist, die sich für uns in irgendeiner Form verantwortlich fühlt geschweige denn Englisch spricht, scheint es letztlich sowohl für die Leitung unserer Uni, als auch für uns in der Praxis unkomplizierter, eine neue Einrichtung über bestehende Kontakte zu suchen. Trotzdem tut es mir leid, die Kinder jetzt wieder zu verlassen, die wir gerade erst ein wenig kennengelernt hatten.

Am vergangenen Wochenende stand der lang ersehnte Besuch im Qadisha Tal bevor. In den Bergen wandern wir mehrere Stunden mit unserer Dozentin Dr. Rima durch das bezaubernde Wadi, um mehrere Klöster zu bestaunen. 


Keine Frage: Sollte irgendwer in Zukunft beschließen, die Herr der Ringe Trilogie erneut zu verfilmen, wären die Berge und Wälder eine perfekte Kulisse. Für die meisten geht es nach der langen Wanderung zurück nach Beirut. Nur sieben von uns haben beschlossen, auch den kommenden Tag in den Bergen zu verbringen. 
Während sich der Bus also zurück in die Hauptstadt bewegt, werden wir von einem Taxie-Truck durch die Berge zu unserer Schlafstätte gebracht: Müde und ein wenig fröstelnd landen wir am Abend im Mar Antonius Qozhaya Kloster. 
Mit dem "Truck-Taxie" auf dem Weg ins Kloster
Die Fahrt im offenen Truck war dank der Aussicht auf die Berge und die untergehende Sonne atemberaubend, gleichzeitig aber auch sehr windig. Im Kloster werden wir freundlich in Empfang genommen, essen zu Abend und wärmen uns mit einer Tasse Tee auf. Während es die anderen sechs bei einem Salat belassen, bestelle ich hungrig das Tagesgericht, das so groß ist, dass es letztlich beinah für die ganze Gruppe gereicht hätte. 

Klassenfahrtzustände
Maxie und Pocahontas

















Da das Kloster einigermaßen stark ausgelastet ist, schlafen wir alle gemeinsam in einem Achterzimmer, das für ein gediegenes Klassenfahrtambiente sorgt. Die Abendstunden verbringen wir mit 'Wer bin ich?' ( = Pocahontas! <3 ) und dem Erraten von pantomimisch dargestellten Begriffen. 
Wandmalerei in einem maronitischen Kloster
Am kommenden Morgen besuchen wir den maronitischen Gottesdienst, der sich – im Gegensatz zur Messe der Assyrer – aufgrund vieler bekannter Elemente aus der katholischen Kirche wesentlich vertrauter anfühlt. 
Shit happens..
Im Anschluss starten wir unsere zweite Wanderung des Wochenendes, die uns im wahrsten Sinne des Wortes durch die Scheiße führt: Angelangt in einem kleinen Dorf stehen wir vor der Herausforderung, auf die andere Seite des Wadis zu kommen.
Blick auf das Tal

Das bedeutet: Den Abhang herunter, über den Fluss, und dann wieder hoch auf einen Weg im Tal. Der Weg zum Fluss führt uns durch jede Menge Tiermist, der – entweder als Dünger oder als Abfallprodukt - auf den Feldern liegt. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Wir werden den bezaubernden Pfad an diesem Tag nicht nur ein, sondern ganze vier Mal betreten. Da der Pfad an jener Stelle nicht ausgeschildert ist, begeben wir uns kurze Zeit später vom Hang zurück ins Dorf, um uns nach dem Weg auf die andere Seite zu erkundigen. Die Bewohner bestätigen uns in einer Mischung aus Arabisch und Französisch, dass der Weg durch den Mist der richtige sei. Also laufen wir wieder zurück, passieren Mist, Müll und ominöse Spritzen am Wegesrand, und klettern zum Fluss, um von dort auf die andere Seite zu gelangen. Soweit, so gut. Auf der anderen Seite angekommen stellen wir allerdings einigermaßen frustriert fest, dass sich kein Weg finden lässt. Die Berge sind hoch und steil – ohne Wanderweg können und wollen wir das Gebirge nicht erklimmen.
Resigniert müssen wir nach einigen Stunden also erneut umkehren, zurück über den Fluss, den Berg wieder hoch, ein letztes Mal über den mistigen Abhang. We've got that shit done! Allerdingst ohne den richtigen Weg gefunden zu haben. Stattdessen begeben wir uns auf die nächste Straße, um aus dem Norden des Landes zurück nach Beirut zu kehren. 
Wer mehr über unseren Ausflug ins Qadisha Valley lesen möchte, oder Lust auf noch mehr Eindrücke aus Beirut hat, kann übrigens auch auf Maxies Blog vorbeigucken. Ihr findet ihn hier.
Nach einem erfrischenden Wochenende kehren wir in den Alltag der Stadt zurück. Arabischunterricht, Vorlesungen, Andachten. Auch in dieser Woche steht für Maxie und mich eine weitere Andacht an, die wir erneut gemeinsam halten. 
Gibt es was schöneres als sonnigen Herbst? Bezweifel ich.
Zum ersten Mal beschließe ich in dieser Woche, einen etwas längeren Impuls zu schreiben, der sich – anlässlich des 9. Novembers - mit Mauern und Brücken befasst. Ein Thema, das mir am Herzen liegt – und nach der U.S-amerikanischen Wahl eines Mauern-statt-Brückenbauers umso relevanter scheint. Lieder suchen, Ideen sammeln, Gebete finden – die Andacht hat in dieser Woche relativ viel Zeit in Anspruch genommen. Umso mehr habe ich mich über das positive Feedback gefreut. Erneut muss ich mir eingestehen, dass mir die Gestaltung der Andachten wesentlich mehr Freude bereitet, als ich mir je hätte eingestehen wollen. Oder wie Jan es formuliert hat: Offenbar hast du das Pfarrerinnen-Gen doch dominant vererbt bekommen.. Ob es dazu je kommt, wage ich allerdings nach wie vor einigermaßen zu bezweifeln. Maxie, Lydia und ich stehen geschlossen an der kulturprotestantischen Front - und überlassen die spirituellen Beiträge meist den anderen.
Während der Alltag seine Pflichten mit sich bringt, bin ich nebenher außerdem damit beschäftigt, meine Zukunft in Deutschland zu planen und eine erste Bewerbung fertigzustellen. 


Selten war mein Leben und Alltag in den letzten zehn Jahren dermaßen kirchengeprägt wie in diesen Tagen: Neben Ausflügen, obligatorischen Gottesdienstbesuchen und unserem historischen Kirchenseminar steht Ende des Monats auch der Weihnachtsbasar der deutschen Gemeinde an. Ein Highlight des Kirchenjahres, an dem wir uns „freiwillig verpflichtend“ beteiligen dürfen. 

Weihnachtskränze, deutsche Wurst und Sauerkraut: Am ersten Advent werden etwa 1000 Besucher aus dem ganzen Land erwartet, die mit kulinarischen Köstlichkeiten und weihnachtlicher Stimmung versorgt werden sollen. 
Weihnachtsbusiness bei sommerlichen Temparaturen
Über dreißig Lebkuchenhäuser wurden in den vergangenen Tagen gebacken und gebaut, die derzeit noch verziert werden müssen. Über vier Stunden saß ich bei strahlendem Sonnenschein auf der Terrasse, um zwei Häuser mit Zuckerperlen, Gummibären und sauren Schlangen zu verzieren.

Am Ende des Monats steht außerdem ein erster Besuch im Lande der Zedern an, auf den ich mich seit meinem Abflug freue: Jan wird seine letzten Urlaubstage in Beirut verbringen, und mir hoffentlich jede Menge Rapperinterviews, Norah Jones und Samba-Schokolade mitbringen... Da in der Uni kein Besuch erlaubt ist, werden wir für eine Woche in eine Airbnb-Unterkunft in der Nähe ziehen – ich baue auf eine stabile Internetverbindung für ausstehende Computerupdates!
Für die kommende Woche stand das Konzert der bezaubernden Hindi Zahra in meinem Kalender – bedauerlicherweise aber wurde es, kurz nachdem ich mir ein Ticket gesichert hatte, wieder abgesagt. Eine Begründung gab es nicht, allerdings wird es wohl im Frühling nachgeholt.
Neben Weihnachtsvorbereitungen bei sommerlichen Temperaturen und jeder Menge Lesestoff sitzen wir momentan drei Stunden zwei Mal wöchentlich im Arabischunterricht, lernen Vokabeln und versuchen gemeinsam mit unserem Lehrer aus Wortfetzen erste Sätze werden zu lassen. Drei Stunden am Stück ist eine Menge - und ich bin noch sehr unsicher, welcher Unterricht mir bisher besser gefallen hat. Da man hier seine Kurse jeweils für einen Monat abschließt und bezahlt, werden wir uns vermutlich zu Beginn des neuen Jahres für eine Lernform entscheiden.
Kürzlich hatte ich immerhin mein erstes Gespräch auf 'Arabisch' mit einem „Tütenpacker“ an der Kasse im Supermarkt. Das ging etwa folgendermaßen: „Ich brauche keine Tüte“, sagte ich dankend, bevor ich meinen Einkauf in meinen Rucksack packte. Er lächelte. „Russland?“ War seine Antwort, auf Maxie und mich zeigend. Ich schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Deutschland!“ Wieder ein Lächeln. Wann werde ich in diesem Leben eigentlich nicht mehr für eine Russin gehalten. Man weiß es nicht.
Unser Einkauf bestand übrigens aus einer Packung Plastiktellern und Gabeln. Weil es an unserer Uni am Morgen nur Tee gibt, führt mich mein erster Spaziergang an nahezu jedem Morgen zu „Cafe Art“ - einem kleinen Kiosk mit Kaffeemaschine. Auf dem Weg dorthin begegnen uns regelmäßig Straßenkinder, die Kaugummis oder Taschentücher verkaufen und uns darum bitten, ihnen Essen zu kaufen. Es fühlt sich unfair und einigermaßen arrogant an, jeden Morgen dankend abzulehnen und bei zu viel Körperkontakt hin und wieder auch lauter zu werden.

Gleichzeitig ist es uns schlichtweg nicht möglich, jeden Morgen allen bettelnden Kindern und Müttern gerecht zu werden. An eben jenem Tag aber hatten wir noch drei Mahlzeiten übrig, die uns die Küche zur Seite gestellt hatte, da wir zur Zeit des Abendessens im Arabischunterricht saßen. Weil wir letztlich außerhalb gegessen hatten, beschlossen wir kurzerhand, die drei Mahlzeiten auf die Plastikteller zu verteilen und auf der Straße zu verschenken. Während einige Kinder dankend ablehnten, und nach wie vor um einen Wrap aus der Bäckerei baten, wurden die kleinen Teller von anderen freudig entgegengenommen. Zwischen Range Rovern, Anzügen und operierten Nasen auf den Straßen Hamras sickert durch die Anwesenheit der Straßenkinder immer wieder eine andere Realität in das teure Viertel, die tiefe Abgründe vermuten lässt. Täglich begegnen uns große Gegensätze - sichtbare und unsichtbare Mauern, die nicht leicht zu überwinden scheinen. Trotzdem hoffe ich, in den kommenden Wochen hinter möglichst viele Fassaden blicken zu dürfen.