Zum
dritten Mal standen Maxie und ich am vergangenen Freitag vor den
Jungs und Mädchen im palästinensischen Flüchtlingslager, um
Englisch zu unterrichten. Wir starten mit dem Lied „Head,
shoulders, knees and toes“ - singen mit und zeigen passend zur
Musik auf die entsprechenden Körperteile. Die Kinder scheinen
begeistert, singen laut mit und machen freudig die Bewegungen nach.
Im Anschluss versuchen wir unser Glück mit Frontalunterricht, lassen
die Schüler die Körperteile buchstabieren, bevor sie die Begriffe
in ihre Hefte schreiben. Während uns die Kinder in der vergangenen
Woche keine ruhige Minute gelassen hatten, verließen wir das Lager
an jenem Tag mit einem guten Gefühl: Dieses Mal gelang es uns
wesentlich besser, die Gruppe in Zaum zu halten, Inhalte zu
vermitteln und gleichzeitig Spaß an der Arbeit zu haben. Dennoch war
dies bedauerlicherweise der letzte Besuch in der Klasse der 5-10
Jährigen.
Blick auf das Wadi Qadisha |
Unsere Universität hat den Wunsch geäußert, aufgrund
der Sicherheitslage im Flüchtlingslager den Freiwilligendienst über
eine Einrichtung laufen zu lassen, die von der Hochschule vermittelt
wurde. In unserem Fall erhielten wir den Kontakt zur NGO über eine
Studentin. Da vor Ort keine Person anwesend ist, die sich für uns in
irgendeiner Form verantwortlich fühlt geschweige denn Englisch
spricht, scheint es letztlich sowohl für die Leitung unserer Uni,
als auch für uns in der Praxis unkomplizierter, eine neue
Einrichtung über bestehende Kontakte zu suchen. Trotzdem tut es mir
leid, die Kinder jetzt wieder zu verlassen, die wir gerade erst ein
wenig kennengelernt hatten.
Am
vergangenen Wochenende stand der lang ersehnte Besuch im Qadisha Tal
bevor. In den Bergen wandern wir mehrere Stunden mit unserer Dozentin
Dr. Rima durch das bezaubernde Wadi, um mehrere Klöster zu
bestaunen.
Keine Frage: Sollte irgendwer in Zukunft beschließen, die
Herr der Ringe Trilogie erneut zu verfilmen, wären die Berge und
Wälder eine perfekte Kulisse. Für die meisten geht es nach der
langen Wanderung zurück nach Beirut. Nur sieben von uns haben
beschlossen, auch den kommenden Tag in den Bergen zu verbringen.
Während sich der Bus also zurück in die Hauptstadt bewegt, werden
wir von einem Taxie-Truck durch die Berge zu unserer Schlafstätte
gebracht: Müde und ein wenig fröstelnd landen wir am Abend im Mar
Antonius Qozhaya Kloster.
Mit dem "Truck-Taxie" auf dem Weg ins Kloster |
Die Fahrt im offenen Truck war dank der
Aussicht auf die Berge und die untergehende Sonne atemberaubend,
gleichzeitig aber auch sehr windig. Im Kloster werden wir freundlich
in Empfang genommen, essen zu Abend und wärmen uns mit einer Tasse
Tee auf. Während es die anderen sechs bei einem Salat belassen,
bestelle ich hungrig das Tagesgericht, das so groß ist, dass es
letztlich beinah für die ganze Gruppe gereicht hätte.
Klassenfahrtzustände |
Maxie und Pocahontas |
Da das
Kloster einigermaßen stark ausgelastet ist, schlafen wir alle
gemeinsam in einem Achterzimmer, das für ein gediegenes
Klassenfahrtambiente sorgt. Die Abendstunden verbringen wir mit 'Wer
bin ich?' ( = Pocahontas! <3 ) und dem Erraten von pantomimisch
dargestellten Begriffen.
Wandmalerei in einem maronitischen Kloster |
Am kommenden Morgen besuchen wir den maronitischen Gottesdienst, der
sich – im Gegensatz zur Messe der Assyrer – aufgrund vieler
bekannter Elemente aus der katholischen Kirche wesentlich vertrauter
anfühlt.
Shit happens.. |
Im Anschluss starten wir unsere zweite Wanderung des
Wochenendes, die uns im wahrsten Sinne des Wortes durch die Scheiße
führt: Angelangt in einem kleinen Dorf stehen wir vor der
Herausforderung, auf die andere Seite des Wadis zu kommen.
Blick auf das Tal |
Das
bedeutet: Den Abhang herunter, über den Fluss, und dann wieder hoch
auf einen Weg im Tal. Der Weg zum Fluss führt uns durch jede Menge
Tiermist, der – entweder als Dünger oder als Abfallprodukt - auf
den Feldern liegt. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Wir
werden den bezaubernden Pfad an diesem Tag nicht nur ein, sondern
ganze vier Mal betreten. Da der Pfad an jener Stelle nicht
ausgeschildert ist, begeben wir uns kurze Zeit später vom Hang
zurück ins Dorf, um uns nach dem Weg auf die andere Seite zu
erkundigen. Die Bewohner bestätigen uns in einer Mischung aus
Arabisch und Französisch, dass der Weg durch den Mist der richtige
sei. Also laufen wir wieder zurück, passieren Mist, Müll und
ominöse Spritzen am Wegesrand, und klettern zum Fluss, um von dort
auf die andere Seite zu gelangen. Soweit, so gut. Auf der anderen
Seite angekommen stellen wir allerdings einigermaßen frustriert
fest, dass sich kein Weg finden lässt. Die Berge sind hoch und steil
– ohne Wanderweg können und wollen wir das Gebirge nicht
erklimmen.
Resigniert müssen wir nach einigen Stunden also erneut
umkehren, zurück über den Fluss, den Berg wieder hoch, ein letztes
Mal über den mistigen Abhang. We've got that shit done! Allerdingst ohne den richtigen Weg gefunden zu haben. Stattdessen begeben wir uns auf die nächste Straße, um aus dem Norden des Landes zurück nach Beirut zu kehren.
Wer
mehr über unseren Ausflug ins Qadisha Valley lesen möchte, oder
Lust auf noch mehr Eindrücke aus Beirut hat, kann übrigens auch auf
Maxies Blog vorbeigucken. Ihr findet ihn hier.
Nach
einem erfrischenden Wochenende kehren wir in den Alltag der Stadt
zurück. Arabischunterricht, Vorlesungen, Andachten. Auch in dieser
Woche steht für Maxie und mich eine weitere Andacht an, die wir
erneut gemeinsam halten.
Gibt es was schöneres als sonnigen Herbst? Bezweifel ich. |
Zum ersten Mal beschließe ich in dieser
Woche, einen etwas längeren Impuls zu schreiben, der sich –
anlässlich des 9. Novembers - mit Mauern und Brücken befasst. Ein
Thema, das mir am Herzen liegt – und nach der U.S-amerikanischen
Wahl eines Mauern-statt-Brückenbauers umso relevanter scheint.
Lieder suchen, Ideen sammeln, Gebete finden – die Andacht hat in
dieser Woche relativ viel Zeit in Anspruch genommen. Umso mehr habe
ich mich über das positive Feedback gefreut. Erneut muss ich mir
eingestehen, dass mir die Gestaltung der Andachten wesentlich mehr
Freude bereitet, als ich mir je hätte eingestehen wollen. Oder wie
Jan es formuliert hat: Offenbar hast du das Pfarrerinnen-Gen doch
dominant vererbt bekommen.. Ob es dazu je kommt, wage ich allerdings
nach wie vor einigermaßen zu bezweifeln. Maxie, Lydia und ich stehen
geschlossen an der kulturprotestantischen Front - und überlassen
die spirituellen Beiträge meist den anderen.
Während
der Alltag seine Pflichten mit sich bringt, bin ich nebenher außerdem
damit beschäftigt, meine Zukunft in Deutschland zu planen und eine
erste Bewerbung fertigzustellen.
Selten
war mein Leben und Alltag in den letzten zehn Jahren dermaßen
kirchengeprägt wie in diesen Tagen: Neben Ausflügen,
obligatorischen Gottesdienstbesuchen und unserem historischen
Kirchenseminar steht Ende des Monats auch der Weihnachtsbasar der
deutschen Gemeinde an. Ein Highlight des Kirchenjahres, an dem wir
uns „freiwillig verpflichtend“ beteiligen dürfen.
Weihnachtskränze, deutsche Wurst und Sauerkraut: Am ersten Advent
werden etwa 1000 Besucher aus dem ganzen Land erwartet, die mit
kulinarischen Köstlichkeiten und weihnachtlicher Stimmung versorgt
werden sollen.
Weihnachtsbusiness bei sommerlichen Temparaturen |
Über dreißig Lebkuchenhäuser wurden in den
vergangenen Tagen gebacken und gebaut, die derzeit noch verziert
werden müssen. Über vier Stunden saß ich bei strahlendem
Sonnenschein auf der Terrasse, um zwei Häuser mit Zuckerperlen,
Gummibären und sauren Schlangen zu verzieren.
Am Ende des Monats
steht außerdem ein erster Besuch im Lande der Zedern an, auf den ich
mich seit meinem Abflug freue: Jan wird seine letzten Urlaubstage in
Beirut verbringen, und mir hoffentlich jede Menge Rapperinterviews,
Norah Jones und Samba-Schokolade mitbringen... Da in der Uni kein
Besuch erlaubt ist, werden wir für eine Woche in eine
Airbnb-Unterkunft in der Nähe ziehen – ich baue auf eine stabile
Internetverbindung für ausstehende Computerupdates!
Für
die kommende Woche stand das Konzert der bezaubernden Hindi Zahra in
meinem Kalender – bedauerlicherweise aber wurde es, kurz nachdem
ich mir ein Ticket gesichert hatte, wieder abgesagt. Eine Begründung
gab es nicht, allerdings wird es wohl im Frühling nachgeholt.
Neben
Weihnachtsvorbereitungen bei sommerlichen Temperaturen und jeder
Menge Lesestoff sitzen wir momentan drei Stunden zwei Mal wöchentlich
im Arabischunterricht, lernen Vokabeln und versuchen gemeinsam mit
unserem Lehrer aus Wortfetzen erste Sätze werden zu lassen. Drei
Stunden am Stück ist eine Menge - und ich bin noch sehr unsicher,
welcher Unterricht mir bisher besser gefallen hat. Da man hier seine
Kurse jeweils für einen Monat abschließt und bezahlt, werden wir
uns vermutlich zu Beginn des neuen Jahres für eine Lernform
entscheiden.
Kürzlich
hatte ich immerhin mein erstes Gespräch auf 'Arabisch' mit einem
„Tütenpacker“ an der Kasse im Supermarkt. Das ging etwa
folgendermaßen: „Ich brauche keine Tüte“, sagte ich dankend,
bevor ich meinen Einkauf in meinen Rucksack packte. Er lächelte.
„Russland?“ War seine Antwort, auf Maxie und mich zeigend. Ich
schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Deutschland!“ Wieder ein
Lächeln. Wann werde ich in diesem Leben eigentlich nicht mehr für
eine Russin gehalten. Man weiß es nicht.
Unser
Einkauf bestand übrigens aus einer Packung Plastiktellern und
Gabeln. Weil es an unserer Uni am Morgen nur Tee gibt, führt mich
mein erster Spaziergang an nahezu jedem Morgen zu „Cafe Art“ -
einem kleinen Kiosk mit Kaffeemaschine. Auf dem Weg dorthin begegnen
uns regelmäßig Straßenkinder, die Kaugummis oder Taschentücher
verkaufen und uns darum bitten, ihnen Essen zu kaufen. Es fühlt sich
unfair und einigermaßen arrogant an, jeden Morgen dankend abzulehnen
und bei zu viel Körperkontakt hin und wieder auch lauter zu werden.
Gleichzeitig ist es uns schlichtweg nicht möglich, jeden Morgen
allen bettelnden Kindern und Müttern gerecht zu werden. An eben
jenem Tag aber hatten wir noch drei Mahlzeiten übrig, die uns die
Küche zur Seite gestellt hatte, da wir zur Zeit des Abendessens im
Arabischunterricht saßen. Weil wir letztlich außerhalb gegessen
hatten, beschlossen wir kurzerhand, die drei Mahlzeiten auf die
Plastikteller zu verteilen und auf der Straße zu verschenken.
Während einige Kinder dankend ablehnten, und nach wie vor um einen
Wrap aus der Bäckerei baten, wurden die kleinen Teller von anderen
freudig entgegengenommen. Zwischen Range Rovern, Anzügen und
operierten Nasen auf den Straßen Hamras sickert durch die
Anwesenheit der Straßenkinder immer wieder eine andere Realität in
das teure Viertel, die tiefe Abgründe vermuten lässt. Täglich
begegnen uns große Gegensätze - sichtbare und unsichtbare Mauern,
die nicht leicht zu überwinden scheinen. Trotzdem hoffe ich, in den
kommenden Wochen hinter möglichst viele Fassaden blicken zu dürfen.
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