Sonntag, 5. Februar 2017

Libanesische Höflichkeit: Das Tankstellenprinzip.


Man könnte meinen, als Deutsche im Libanon befände man sich in der Minderheit. Hin und wieder begegnet man internationalen Studenten, meist mit einem starken amerikanischen Akzent. Touristenansammlungen vor beachtenswerten Sehenswürdigkeiten sind eine Ausnahme. Als Maxie und ich am Dienstagmorgen zum dritten Mal das Klassenzimmer an der amerikanischen Universität betreten, müssen wir jedoch feststellen, dass wir auch hier nicht unter uns sind. Stattdessen sitzen mit uns noch vier weitere Deutsche in dem Kurs, an dem etwa zwanzig Studierende teilnehmen. Nachdem das Vorlesungstempo in den ersten zwei Stunden eher langsam voranschritt, scheint der Dozent an diesem Morgen motiviert, weit auszuholen und die Vorgeschichte des Nahostkonflikts in aller Ausführlichkeit zu erläutern.
Den zweiten freien Nachmittag verbringen Maxie und ich mit Mandalas und Rapperinterviews. Ein entspannter Start in eine programmreiche Woche. In einem günstigen Kaufhaus legen wir uns außerdem eine Outdoorhose in doppelter Ausführung zu, die am kommenden Tag zur Skihose umfunktioniert wird.
Mit etwas Verspätung hält am Mittwochmorgen das 'Snow-Taxi' vor unserer Tür, und unser Fahrer Mario bringt uns in einer anderthalbstündigen Fahrt in die Berge. Mario spricht kaum Englisch, fordert aber Maxie dazu auf, ihre Musik an das Autoradio anzuschließen und das kleine Auto in einen morgendlichen Partybus zu verwandeln. Zwischen Deutschrap und entspannten Klängen wird der Druck auf den Ohren Serpentine für Serpentine stärker.
Faraya
Auf dem Weg hält Mario an zwei Tankstellen, um sich Wasser und Snacks zu kaufen. „Badkun shi?“ - Braucht ihr etwas? fragt er er jedes Mal, bevor er das Auto verlässt. Wir verneinen freundlich, und werden dennoch bei jedem Halt mit Tankstellengut versorgt. Beim ersten Stop schenkt er jeder von uns eine Flasche Wasser, bei der zweiten Station auf dem Rückweg werden wir mit Süßigkeiten und Trinkpäckchen überhäuft. Die libanesische Gastfreundschaft und scheinbar grenzenlose Höflichkeit überraschen mich immer wieder aufs Neue. Auch als Jan und ich im vergangenen November in einem Air'bnb unterkamen, wurden wir vom Besitzer des Appartements reich mit Getränken und Süßigkeiten beschenkt.

Oben angekommen, erwarten uns im Ski-Gebiet 'Faraya' eine vernebelte Schneelandschaft und -7 Grad. Der Ski-Verleih stattet uns mit Schuhen, Skiern und einem Snowboard für Lydia aus. Nach über zehn Jahren stehe ich plötzlich wieder auf Skiern, und lasse mir von Maxie erklären, wie ich möglichst langsam und sicher an das Ende der Piste gelange. Ich versuche, möglichst große Kurven zu fahren – was mir mal mehr und mal weniger gelingt - und schaffe es immerhin, im Laufe des Tages kein einziges Mal hinzufallen. Ein erfreulicher Umstand angesichts der Tatsache, dass ich eine nur begrenzt wasserfeste und einigermaßen improvisierte Funktionshose trage. Nach einer Pause am Mittag beglückt uns die Sonne, die langsam zwischen den Wolken hervorkommt, und dem zauberhaften Ski-Gebiet endlich ein Gesicht gibt. Mit klarer Sicht lässt es sich leichter fahren, und ich genieße den Blick auf die weiß gezuckerten Berge. Am Abend bringt uns Mario wieder zurück nach Beirut.
Tyros
Für den Donnerstag haben einige Studierende der N.E.S.T einen Ausflug ins südlich gelegene Tyros geplant. Da die Gruppe jedoch bereits am frühen Morgen abreist, gehe ich zunächst davon aus, auf Grund meiner Vorlesung an der AUB nicht teilnehmen zu können. Lydia aber überrascht mich mit einer kurzen Nachricht am Morgen, und beschließt auf mich zu warten. So fahren wir am frühen Nachmittag zu zweit in den Süden, und stoßen wenig später auf den Rest der Gruppe, die auf Grund des starken morgendlichen Verkehrs nur wenig früher an ihr Ziel gelangte als wir. 
Nach einem Mittagessen am Meer bestaunen wir die großen Ausgrabungen aus der Römerzeit, die Teil des UNESCO-Weltkulturerbes sind. Zwischen den beeindruckenden Säulen und Ruinen fällt wieder ein Mal auf, dass der Libanon auf Grund der instabilen politischen Situation und seiner geographischen Lage unter einem gravierenden Image-Schaden leidet, der dem Land und seinem kulturellen Reichtum alles andere als gerecht wird. Während sich eine vergleichbare Ausgrabungsstätte in Europa vor Besuchern vermutlich kaum retten könnte, spaziert unsere Gruppe nahezu allein über's Gelände. 
Wir schlendern durch die kleinen bunten Gassen, während wir über zahlreiche Märtyrerbilder und Portraits von Hassan Nasrallah stolpern: Es ist unverkennbar, dass wir uns im Süden des Landes befinden. Neben einer alten Burgruine der Kreuzfahrer finde ich im Sand unzählige spiralförmige Muscheln, von denen einige am Abend in meiner Jackentasche mit mir zurück nach Beirut kehren. Am Abend lernen Maxie und ich bei einem Bier mit einem Bekannten das Ausgehviertel 'Badaro' kennen. 
Auf dem Weg zum Hafen von Tyros
Das Wochenende wird mit einem ruhigen Freitag eingeleitet, an dem wir versuchen, den Kindern im Flüchtlingslager ein erstes Lied zum Muttertag beizubringen. Für die erste Runde läuft es vor allem mit den älteren Kindern ganz erfolgreich. Den Nachmittag und Abend nutze ich, um etwas Schlaf nachzuholen und mit Jan zu telefonieren.
Etwas Zeit, um Kraft zu tanken, bevor ich am kommenden Morgen mit Maxie und zwei ihrer libanesischen Freunde, Mark und Jad, ins Chouf-Gebirge fahre. Die beeindruckende Gegend, die mich an das Qadisha-Valley erinnert, wird vor allem von Drusen bewohnt.

Hannah, Maxie und der freundliche Friseur
Wenig ist über die drusischen Riten und Traditionen bekannt. Umso erfreulicher, als sich am Nachmittag die Gelegenheit ergibt, einen drusischen Friedhof zu besichtigen. In meinem Reiseführer, der bereits 1998 veröffentlicht wurde steht, man müsse sich beim Elektroshop gegenüber nach dem Schlüssel erkundigen. Einen Elektroshop finden wir nicht, dafür aber einen Friseur, der auf unsere Nachfrage prompt mit einem Nicken und einem Anruf reagiert. Wenige Minuten später kommt ein Mann auf seinem Motorrad angefahren, um sowohl den Schlüssel, als auch einen Stapel Broschüren über den Friedhof mitzubringen. Der freundliche Friseur beschließt kurzerhand, eine Arbeitspause einzulegen, und uns stattdessen in gebrochenem Englisch die einzelnen Elemente des Friedhofes zu erklären.


Auf dem drusischen Friedhof

Wie Pocahontas fühlen am natürlichen Pool <3
Die symbolische Vielfalt und die Bedeutung hinter den Skulpturen überraschen mich: Zwischen einem Ei, das symbolisch für das Leben steht, geheimnisvoll anmutenden Pyramiden und einer Lotuspflanze befinden sich auf dem Gelände auch verschiedene Elemente, die andere Religionen berücksichtigen: So lassen sich auf dem Friedhof auch Yin & Yang und eine Buddha-Figur finden, die für die Einheit Gottes in der Gesamtheit der Religionen stehen sollen. Ein klares Highlight auf unserer Tour.

Außerdem zeigen uns Mark und Jad nach längerem Suchen einen natürlichen Pool, in dem man im Sommer von der Klippe springen und baden gehen kann. Von den viel gepriesenen Zedern finden wir bedauerlicherweise nur eine, da der Weg in den Zedernwald wegen Schnee und Glätte gesperrt ist. Als wir auch auf diesem Ausflug mehrfach an Tankstellen halten, wiederholt sich das Spiel, das uns spätestens seit der Ski-Fahrt mit Mario bekannt ist: 'Badkun shi' – Braucht ihr etwas?, fragen die beiden höflich. Wir lehnen dankend ab, und bekommen wenig später Orangensaft und Erdnüsse überreicht. Zurück in Beirut werden wir obendrauf kurzerhand zum Essen eingeladen. 
Blick über das Chouf-Gebirge
Jede Abweichung von Kantinenessen ist mir eine willkommene Abwechslung.. Zurück an der N.E.S.T lassen Maxie und ich den Abend mit einem Film ausklingen.
Den letzten Tag der Ferienwoche verbringe ich im achten Stock der Hochschule, um auf das leuchtende Meer zu blicken und die Erlebnisse der letzten Tagen zusammenzufassen. Ab morgen beginnt das Sommersemester, in dem nicht nur die Kurse, sondern auch unser Arabischunterricht in eine zweite Runde gehen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen