Man könnte meinen, als
Deutsche im Libanon befände man sich in der Minderheit. Hin und
wieder begegnet man internationalen Studenten, meist mit einem
starken amerikanischen Akzent. Touristenansammlungen vor
beachtenswerten Sehenswürdigkeiten sind eine Ausnahme. Als Maxie und
ich am Dienstagmorgen zum dritten Mal das Klassenzimmer an der
amerikanischen Universität betreten, müssen wir jedoch feststellen,
dass wir auch hier nicht unter uns sind. Stattdessen sitzen mit uns
noch vier weitere Deutsche in dem Kurs, an dem etwa zwanzig
Studierende teilnehmen. Nachdem das Vorlesungstempo in den ersten
zwei Stunden eher langsam voranschritt, scheint der Dozent an diesem
Morgen motiviert, weit auszuholen und die Vorgeschichte des
Nahostkonflikts in aller Ausführlichkeit zu erläutern.
Den zweiten
freien Nachmittag verbringen Maxie und ich mit Mandalas und
Rapperinterviews. Ein entspannter Start in eine programmreiche Woche.
In einem günstigen Kaufhaus legen wir uns außerdem eine Outdoorhose
in doppelter Ausführung zu, die am kommenden Tag zur Skihose
umfunktioniert wird.
Mit etwas Verspätung
hält am Mittwochmorgen das 'Snow-Taxi' vor unserer Tür, und unser
Fahrer Mario bringt uns in einer anderthalbstündigen Fahrt in die
Berge. Mario spricht kaum Englisch, fordert aber Maxie dazu auf, ihre
Musik an das Autoradio anzuschließen und das kleine Auto in einen
morgendlichen Partybus zu verwandeln. Zwischen Deutschrap und
entspannten Klängen wird der Druck auf den Ohren Serpentine für
Serpentine stärker.
Faraya |
Auf dem Weg hält Mario
an zwei Tankstellen, um sich Wasser und Snacks zu kaufen. „Badkun
shi?“ - Braucht ihr etwas? fragt er er jedes Mal, bevor er das Auto
verlässt. Wir verneinen freundlich, und werden dennoch bei jedem
Halt mit Tankstellengut versorgt. Beim ersten Stop schenkt er jeder
von uns eine Flasche Wasser, bei der zweiten Station auf dem Rückweg
werden wir mit Süßigkeiten und Trinkpäckchen überhäuft. Die
libanesische Gastfreundschaft und scheinbar grenzenlose Höflichkeit
überraschen mich immer wieder aufs Neue. Auch als Jan und ich im
vergangenen November in einem Air'bnb unterkamen, wurden wir vom
Besitzer des Appartements reich mit Getränken und Süßigkeiten
beschenkt.
Oben angekommen, erwarten
uns im Ski-Gebiet 'Faraya' eine vernebelte Schneelandschaft und -7
Grad. Der Ski-Verleih stattet uns mit Schuhen, Skiern und einem
Snowboard für Lydia aus. Nach über zehn Jahren stehe ich plötzlich
wieder auf Skiern, und lasse mir von Maxie erklären, wie ich
möglichst langsam und sicher an das Ende der Piste gelange. Ich
versuche, möglichst große Kurven zu fahren – was mir mal mehr und
mal weniger gelingt - und schaffe es immerhin, im Laufe des Tages
kein einziges Mal hinzufallen. Ein erfreulicher Umstand angesichts
der Tatsache, dass ich eine nur begrenzt wasserfeste und einigermaßen
improvisierte Funktionshose trage. Nach einer Pause am Mittag
beglückt uns die Sonne, die langsam zwischen den Wolken hervorkommt,
und dem zauberhaften Ski-Gebiet endlich ein Gesicht gibt. Mit klarer
Sicht lässt es sich leichter fahren, und ich genieße den Blick auf
die weiß gezuckerten Berge. Am Abend bringt uns Mario wieder zurück
nach Beirut.
Tyros |
Für den Donnerstag haben
einige Studierende der N.E.S.T einen Ausflug ins südlich gelegene
Tyros geplant. Da die Gruppe jedoch bereits am frühen Morgen
abreist, gehe ich zunächst davon aus, auf Grund meiner Vorlesung an
der AUB nicht teilnehmen zu können. Lydia aber überrascht mich mit
einer kurzen Nachricht am Morgen, und beschließt auf mich zu warten.
So fahren wir am frühen Nachmittag zu zweit in den Süden, und
stoßen wenig später auf den Rest der Gruppe, die auf Grund des
starken morgendlichen Verkehrs nur wenig früher an ihr Ziel gelangte
als wir.
Nach einem Mittagessen am Meer bestaunen wir die großen
Ausgrabungen aus der Römerzeit, die Teil des UNESCO-Weltkulturerbes
sind. Zwischen den beeindruckenden Säulen und Ruinen fällt wieder
ein Mal auf, dass der Libanon auf Grund der instabilen politischen
Situation und seiner geographischen Lage unter einem gravierenden
Image-Schaden leidet, der dem Land und seinem kulturellen Reichtum
alles andere als gerecht wird. Während sich eine vergleichbare
Ausgrabungsstätte in Europa vor Besuchern vermutlich kaum retten
könnte, spaziert unsere Gruppe nahezu allein über's Gelände.
Wir
schlendern durch die kleinen bunten Gassen, während wir über
zahlreiche Märtyrerbilder und Portraits von Hassan Nasrallah
stolpern: Es ist unverkennbar, dass wir uns im Süden des Landes
befinden. Neben einer alten Burgruine der Kreuzfahrer finde ich im
Sand unzählige spiralförmige Muscheln, von denen einige am Abend in
meiner Jackentasche mit mir zurück nach Beirut kehren. Am Abend
lernen Maxie und ich bei einem Bier mit einem Bekannten das
Ausgehviertel 'Badaro' kennen.
Auf dem Weg zum Hafen von Tyros |
Das Wochenende wird mit
einem ruhigen Freitag eingeleitet, an dem wir versuchen, den Kindern
im Flüchtlingslager ein erstes Lied zum Muttertag beizubringen. Für
die erste Runde läuft es vor allem mit den älteren Kindern ganz
erfolgreich. Den Nachmittag und Abend nutze ich, um etwas Schlaf
nachzuholen und mit Jan zu telefonieren.
Etwas Zeit, um Kraft zu
tanken, bevor ich am kommenden Morgen mit Maxie und zwei ihrer
libanesischen Freunde, Mark und Jad, ins Chouf-Gebirge fahre. Die
beeindruckende Gegend, die mich an das Qadisha-Valley erinnert, wird
vor allem von Drusen bewohnt. Hannah, Maxie und der freundliche Friseur |
Auf dem drusischen Friedhof |
Wie Pocahontas fühlen am natürlichen Pool <3 |
Außerdem zeigen uns Mark
und Jad nach längerem Suchen einen natürlichen Pool, in dem man im
Sommer von der Klippe springen und baden gehen kann. Von den viel
gepriesenen Zedern finden wir bedauerlicherweise nur eine, da der Weg
in den Zedernwald wegen Schnee und Glätte gesperrt ist. Als wir auch
auf diesem Ausflug mehrfach an Tankstellen halten, wiederholt sich
das Spiel, das uns spätestens seit der Ski-Fahrt mit Mario bekannt
ist: 'Badkun shi' – Braucht ihr etwas?, fragen die beiden höflich.
Wir lehnen dankend ab, und bekommen wenig später Orangensaft und
Erdnüsse überreicht. Zurück in Beirut werden wir obendrauf
kurzerhand zum Essen eingeladen.
Blick über das Chouf-Gebirge |
Jede Abweichung von Kantinenessen
ist mir eine willkommene Abwechslung.. Zurück an der N.E.S.T lassen
Maxie und ich den Abend mit einem Film ausklingen.
Den letzten Tag der
Ferienwoche verbringe ich im achten Stock der Hochschule, um auf das
leuchtende Meer zu blicken und die Erlebnisse der letzten Tagen
zusammenzufassen. Ab morgen beginnt das Sommersemester, in dem nicht
nur die Kurse, sondern auch unser Arabischunterricht in eine zweite
Runde gehen.
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