Freitag, 10. März 2017

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.



Good After Noon
Der neue Monat beginnt mit einem Warnschuss meines Körpers. Anhaltende Schmerzen und ein unkontrolliert zuckender Arm erinnern mich daran, dass Beschwerden nicht unbedingt einfach verschwinden, wenn man so tut als seien sie nicht existent. Weil sich die Bewegungen meines Armes weder vor mir selbst, noch vor meinen Kommilitonen verstecken lassen, ist in Kürze die halbe Hochschule informiert. Wenig später sind nicht nur Maxie und Lydia, sondern auch der Präsident des Seminars und eine weitere Dozentin darum bemüht, einen passenden Arzt und umgehende Unterstützung für mich zu finden.
Nach Telefondiagnosen, Tablettenbeschaffung und Massagen geht ein aufreibender Tag auf Lydias Zimmer zu Ende, und wenig später habe ich für die kommende Woche zwei Arzttermine. Vielleicht ist es das Medikament, dass meinen Körper zur Ruhe bringt. Vielleicht sind es auch die Gespräche und der Theaterworkshop am Donnerstagabend, die mich von kreativen Selbstdiagnosen zurück auf den Boden der Tatsachen holen.
Das Wochenende leiten Maxie und ich traditionsbewusst mit meiner Neuentdeckung
Lernen im 'Onomatopoeia' in Ashrafiyeh
Mikrowellenpopcorn und Harry Potter Teil 3 ein. Um mich auf die Mid-term Klausur bei Dr. Ford vorzubereiten, verbringe ich erneut einen Großteil meines Wochenendes mit meinem Laptop in Cafés. Im Osten der Stadt liegt der Stadtteil Ashrafiyeh, in dem es im 'Onomatopoeia' Raum für Kultur, Musik und Kaffee gibt. Auf der Terrasse des kleinen Ladens lassen wir uns die Frühlingssonne ins Gesicht scheinen, und fassen mehr oder weniger geduldig das Unterrichtsmaterial der letzten Wochen zusammen. Am Abend schließe ich mich einer Gruppe von N.E.S.T-Studierenden an, die zum gemeinsamen Brettspiel verabredet sind. Unweit unserer
Karten spielen im 'Multiverse'
Schule befindet sich das 'Multiverse' - ein Laden, in dem man nicht nur Spiele kaufen, sondern auch spielen kann. Die kompetenten Mitarbeiter empfehlen nicht nur ihre Favoriten, sie erklären auch jedem Tisch geduldig die Regeln. Unsere Gruppe entscheidet sich für ein Kartenspiel, bei dem der gewinnt, der am besten lügen kann – Ein schwieriges Unterfangen, bei einem Haufen gutmütiger Theologiestudenten..
Den Abend beenden Maxie und ich bei einem Bier im altbewährten Captains erst zu zweit, bis sich wenig später einige Gesprächspartner um unseren Tisch gesellt haben. In der rustikalen Bar bleibt man selten lange allein. Ein benachbarter Tisch spielt „Wahrheit oder Pflicht“, und bezieht uns regelmäßig ungefragt in Aufgaben mit ein. Außerdem begegnen wir Zwillingen, die überraschenderweise einen ehemaligen N.E.S.T-Studenten kennen, mit dem ich im letzten Jahr in Berlin studiert habe. Klein ist die Welt. Am Sonntag wiederholt sich das mittägliche
Lernmotivation Hannah vs...
Lern-Szenario des Vortages auf einer Dachterrasse über den Straßen von Hamra. Als die Sonne untergeht, lassen Lydia und ich den Abend bei Minz-Limonade und heißer Schokolade ausklingen.
Die neue Woche beginnt mit einem Termin beim Orthopäden, dessen Praxis sich in einem Krankenhaus befindet. Maxie begleitet mich auf der Fahrt, die wegen des nervtötenden Verkehrs eher schleichend als zügig vorangeht. Längst verspätet schleichen wir zunächst eine Weile um das Gebäude herum, das von außen auf Grund von Bauarbeiten nicht im Geringsten an ein Krankenhaus erinnert. Den Haupteingang haben wir verpasst, und so führt
...Lernmotivation Maxie.
uns der Weg in die Praxis durch den Hintereingang vorbei an Schutt und Sperrmüll. Der Arzt ist nicht nur Protestant – er hat auch in der Kapelle unserer Hochschule geheiratet, und so scheint sich ein weiterer Kreis zu schließen. Weil ich daran interessiert bin, neben der schulmedizinischen Perspektive auch eine ganzheitlichen Einschätzung zu erhalten, fahre ich am nächsten Tag außerdem zu einer Physiotherapeutin, die mir von unserer Theater-Lehrerin empfohlen wurde. Die Beobachtungsgabe und das sensible Gespür der russischen Körpertherapeutin faszinieren mich und hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Die kommenden Wochen werden zeigen, wie mein Körper auf die Behandlungen reagiert. Zunächst aber bin ich froh, endlich einen Anfang gemacht zu haben. In den letzten zehn Tagen ist mir einerseits bewusst geworden, dass ein Anfang weder einen Ortswechsel, noch eine klare Kapitelüberschrift benötigt. Andererseits aber ist die Vorfreude auf einen festen Wohnsitz in Deutschland und etwas mehr Stetigkeit in meinem Alltag in mir gewachsen. Es wird Zeit, etwas weniger durch das Leben zu rennen, und zwischendurch häufiger innezuhalten.
An der Hochschule geht der Alltag mit der Klausur und einer
Zwischen Ehe-Diskussionen und Ringkauf in Gemmayzeh..
Debatte zum Thema 'Homo-Ehe' im Rahmen unseres Ethik-Kurses weiter. Die Veranstaltung findet am Abend statt, und ist für alle Studierenden der Hochschule geöffnet. So lauschen einige Teilnehmer unseren Argumenten, während wir auf dem Podium Gründe für und gegen die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare diskutieren. Ich habe mich im Vorfeld einige Stunden ins Café Younes gesetzt, um biblische Argumente für die Homo-Ehe zu sammeln. Kein leichtes Unterfangen – aber dankenswerterweise bin ich nicht die Erste, die sich mit der Frage beschäftigt, und so lassen sich einige Gedankenanstöße im Internet finden. Die Debatte endet ohne klaren Gewinner, wird aber in 1 ½ Stunden erfolgreich kontrovers diskutiert.
Sonne über den Dächern von Beirut
Zwischen American University und Arabischunterricht bereiten Maxie und ich nach Monaten der Kälte die nächste Andacht endlich wieder auf dem Balkon vor. Da Freitags meist Lieder aus Taizé gesungen werden, kaufen wir Kerzen, bereiten Psalm und Lieder vor. Mit Gesang im Flüchtlingslager und Gesang in der Kapelle beginnt unser Wochenende, das einen weiteren Ausflug in den Süden und hoffentlich Zeit für eine neue Geschichte bereit hält: Während ich in Beirut freudig den Frühling erwarte, wurde in Österreich eine Ausschreibung für das Magazin veröffentlicht, in dem im letzten Jahr eine Geschichte von mir mit Bildern von meiner besten Freundin Dhara erschien. Ich hoffe, in den nächsten Tagen einige Zeilen auf's Papier zu bringen, um auch für die kommende Ausgabe einen Beitrag einreichen zu können.

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