Montag, 20. März 2017

Goldregen.


Als Maxie und ich am Freitag aus dem Flüchtlingslager an die Hochschule zurückkehren, drückt mir Lydia einen Zettel mit einer E-Mail Adresse in die Hand. Während wir englische Lieder sangen, war eine Delegation von Dekanen aus Baden Württemberg zum Gespräch zu Besuch. Unter ihnen auch ein ehemaliger Teilnehmer der Tagungen, die ich im vergangenen Jahr für die EZW mitorganisiert habe. Ein schöner Zufall, wenngleich es in den kommenden Tagen bedauerlicherweise zu keinem Wiedersehen kommt, da meine Antwortmail im Spamordner landet. Dafür dann voraussichtlich im Sommer, wenn der Abschluss der vier Tagungswochen gefeiert wird.
Nachdem das zweite Märzwochenende mit einem entspannten Tag in Beirut beginnt, verlassen wir am Samstag die Stadt, um uns auf einen weiteren Ausflug zu begeben.
Im Hisbollah-Museum
Gemeinsam mit unserem Pilotenfreund Ahmad fahren wir in den Süden, um das sogenannte 'Tourist Landmark of the Resistance' zu besuchen. Bei dem großflächigen Gelände handelt es sich um ein Museum, das von der Hisbollah betrieben wird und vorrangig an Kämpfe und Kriege gegen den südlichen Nachbarn erinnert. In einer aufwändigen Freiluft-Installation werden Helme, Panzer- und Raketenreste ausgestellt. Mit Hilfe von Puppen, Musik und Kampfgegenständen wird zwischen einem zweihundert Meter langen Tunnel und einer Ausstellungshalle die Weltsicht der Hisbollah deutlich. [Wer mehr erfahren will, findet einige Hintergrundinformationen im hier verlinkten Artikel, der 2013 im Tagesspiegel erschien.]
Eine graue Nebelsuppe hängt über den Bergen, als wir das Areal aufgewühlt verlassen und uns auf den Rückweg machen.
Lydia, Stobbi, Maxie und jede Menge Glitzer
Den Abend leiten Maxie, Lydia und ich mit zwei neuen Bekannten im Ausgehviertel Mar Mikhael bei Bier und Martini ein. Einige Stunden später tanzen wir zwischen hell erleuchteten Engelsflügeln in einem goldenen Glitzerregen zu mittelmäßiger Musik. Einige professionelle Tänzerinnen und Tänzer tragen im Laufe des Abends eine mit Goldstaub gefüllte Badewanne in den Raum, die wenig später zur Showfläche umfunktioniert wird. Die Freizügigkeit der leicht bekleideten Künstler überrascht mich und hält mir
erneut den Kontrast zweier Welten vor Augen, die so nah beieinander liegen und doch nicht entfernter voneinander sein könnten.
Als die Sonne langsam aufgeht und die ersten Vögel zwitschern, endet die lange Nacht mit einem letzten Plausch auf Lydias Zimmer, bevor ich mitsamt Glitzer unter der Bettdecke verschwinde und bis in die Mittagsstunden schlafe.
Der Montagmorgen beginnt mit einem Film über die Kreuzfahrer, Müdigkeit und Bauchweh. Nach Andacht und Mittagessen gönne ich mir eine Extraportion Schlaf, bevor am Abend der zweite Teil der dreistündigen Dokumentation ansteht.
Im Anschluss finde ich endlich Zeit und Ruhe, um mich an den Computer zu setzen und die ersten Zeilen für mein neues Schreibprojekt zu verfassen. In der Nacht kann ich mich häufig besser konzentrieren als tagsüber, und so sitze ich bis in die frühen Morgenstunden am Schreibtisch, bis der erste Teil vollendet scheint.

Obwohl das Seminar zum 'Arab-Israeli Conflict' an der AUB am nächsten Morgen zwecks Midterm-Klausur ausfällt, ist der Nahostkonflikt spätestens am Abend wieder Thema. Für die Vorbereitung der nächsten Ethikkurs-Einheit schauen wir eine Dokumentation, in der ein Vergleich zwischen Südafrika zu Zeiten der Apartheid mit dem gegenwärtigen israelischen Staat unternommen wird. Der Film löst bei vielen starke Emotionen aus, und führt zu aufwühlenden Gesprächen. Die Diskussion im Unterricht am kommenden Tag allerdings fällt unerwartet ruhig aus, da sie in erster Linie von der Dozentin geführt wird. Erneut gönne ich mir am Nachmittag einen langen Mittagsschlaf, und schreibe in der Nacht bis um vier Morgens an meiner Geschichte weiter. Inzwischen ist mein Biorhythmus einigermaßen verdreht, aber ich bin sehr glücklich, endlich wieder an einem neuen Projekt zu sitzen.
Drachen, Zwerge und jede Menge Würfel
Ein ungewöhnliches Aufeinandertreffen ergibt sich am Donnerstagabend, als ich gemeinsam mit Lydia das Multiverse betrete, um gemeinsam mit drei Bekannten von ihr ein 'Pen-&-Paper Rollenspiel' zu spielen. Der Laden, der Platz für begeisterte Brettspieler bietet, besitzt auch einen gesonderten Raum, der mit Plastikfackeln, Drachenfiguren und gängiger Fantasy-Ästhetik versucht, ein passendes Ambiente für das außergewöhnliche Gesellschaftsspiel zu schaffen.
Die Idee des Spiels ist es, einen fantastischen Charakter zu wählen, und mit Hilfe eines Spielleiters und Würfeln in einer imaginierten Welt herausfordernde Missionen zu bestehen. So verwandeln wir uns für die kommende 2 ½ Stunden in Elfen, Zwerge und Zauberer, und setzen Zauberkräfte sowie unser Kombinationsvermögen ein, um gegen Bären und Drachen zu kämpfen. Der Spielleiter hat sich passend zur Atmosphäre in einen dunkelroten Mantel mit goldenen Streifen gehüllt, und führt uns mit Hilfe eines dicken Regelwerkes durch den Verlauf der Geschichte. Während die anderen beschließen, die kommenden acht Wochen regelmäßig neue Welten zu
Post aus Norddeutschland. <3
erkunden und das Spiel fortzuführen, ziehe ich es vor, den Besuch in der Drachenwelt als einmaliges Erlebnis zu betrachten und meine Zauberkräfte beim Verlassen des Ladens hinter mir zu lassen.
Weil mein Schlafrhythmus sich noch immer nicht eingependelt hat, verbringe ich auch einen Großteil des Freitags mit einem ausgiebigen Mittagsschlaf. Langsam schreitet meine Geschichte voran, die bis zum 2. April fertig werden soll. Außerdem erreicht mich ein kleines Paket von Simone, die mich mit Süßigkeiten und Nagellack aus Deutschland versorgt. Im Laufe der nächsten Stunden verschwinden eine Tafel Schokolade und eine Packung bunte Colakracher umgehend in meinem Bauch.
Einst eine Kirche: Die Omari Moschee
Am Samstag besuchen wir gemeinsam mit Dr. Peter Ford die Omari Moschee, die zu Kreuzfahrerzeiten eine Kirche war, und sich im ausgestorbenen Herzen von 'Beirut Downton' befindet. Wir beobachten das mittägliche Samstagsgebet von der Empore, bevor uns der Sheikh der Moschee freundlich willkommen heißt und nach einem einführenden Gespräch durch die Räume und Gemäuer der Anlage führt.
Am späten Nachmittag treffe ich endlich auf meine ehemalige Mitbewohnerin Rascha, mit der ein Treffen seit unserer völlig überraschenden Begegnung im November längst überfällig war. Wir bringen uns auf den neusten Stand, und tauschen in Kurzfassung aus, was sich in den letzten 9 Jahren verändert und ergeben hat. Auch am Abend treffen wir erneut aufeinander, um gemeinsam mit Freunden von ihr und mit Maxie das Wochenende zu feiern. Im stadtbekannten 'Mezyan', das unter der Woche als entspanntes Restaurant fungiert, erwartet uns eine ausgelassene Stimmung und ein vollgestopfter Raum, in dem der ein oder andere auf den Tischen tanzt.
Kreuzfahrerburg Mons Peregrinus
Blick über Tripoli
Der letzte Tag des Wochenendes hält eine Fahrt nach Tripoli bereit, wo Maxie, Lydia und ich bereits erwartet werden. Hind, eine Frau die wir vor einigen Monaten bei einem interreligiösen Ausflug kennenlernten, hatte seinerzeit in ihre Heimatstadt eingeladen und angeboten, uns in der Stadt herumzuführen. Als wir das Zentrum der zweitgrößten Stadt des Libanons erreichen, werden wir wenig später von ihr abgeholt und fahren zur ehemaligen Kreuzfahrerburg Mons Peregrinus. Von oben blicken wir über die große Stadt und ihre bunten Häuser. Hind beschreibt Tripoli als
vergessene und marginalisierte Stadt, die unter religiösen und politischen Differenzen leidet. Die Kunstprofessorin nimmt sich einige Stunden für uns Zeit, um uns über die alten Märkte und in ein ehemaliges Hamam zu führen. Die starke Armeepräsenz ist auf Grund der angespannten Lage unübersehbar.
Außerdem betreten wir das futuristische Messegelände, das einst vom brasilianischen
Ein Klangwunder auf dem..
Architekten Oscar Niemeyer angelegt wurde und nun unfertig und halb verfallen sein Dasein fristet. Einige Kinder turnen auf einem ominösen Kuppelgebäude herum. Als wir den Bau betreten, kommen sie heruntergerannt, um den Zauber des Gebäudes mit uns zu teilen: Auf Grund seiner Form hat der hohle Raum eine beeindruckende Akustik, die jeden Ton in ein lautes Echo umwandelt. Wieder ein Mal zeigen sich in Tripoli Räume und Orte, die in einem Land ohne Imageproblem vermutlich tausende Touristen anziehen würde. Hier allerdings laufen wir allein durch die Kreuzfahrerburg, und auch das faszinierende Klangspiel wird an diesem Tag nur uns dargeboten.
...verlassenen Messegelände Oscar Niemeyers
Bei einer unverschämt günstigen Falafel, die wir inklusive Extrawünsche stolz auf Arabisch bestellen, verabschieden wir uns von Tripoli, und fahren weiter nach Batroun.
St. Patrick's Day in Batroun







In dem christlich geprägten Dorf an der Küste treffen wir auf Nabil, einen deutsch-libanesischen Freund von Maxie, der derzeit seine Familie besucht. Mit Tanz, Musik und volksfestähnlicher Stimmung wird am Meer der St. Patrick's Day gefeiert.
Leerstehendes Meeresinstitut von Außen











Kurz bevor die Sonne untergeht, gönnen wir uns einen Blick
von einem unfertigen und leerstehenden Haus aufs Meer. Das runde Gebäude wurde einst als Meeresinstitut geplant und wegen des Krieges nie fertiggestellt.
Das leerstehende Meeresinstitut
In der Mitte des oberen Stockwerkes befindet sich ein großes, leeres Becken, das offenbar einst als Wasserbassin konzipiert wurde. Etwas später zeigen uns Nabil und sein Cousin die gemütliche Altstadt, in der sich eine Kirche aus Sandstein an die Nächste zu reihen scheint.
Um uns die ungemütliche Busfahrt zu ersparen
organisiert Nabils Vater ein Taxi, das uns durch die Nacht bis nach Hamra fährt. Mit Pizza zum Abendbrot geht das Wochenende zu Ende. Bevor ich mich wieder universitären Essays und Klausuren widme, steht in dieser Woche weiterhin die Fertigstellung meines kurzen Textes für das österreichische UND-Magazin im Vordergrund. Außerdem erwarte ich gespannt die Muttertagsfeier im Flüchtlingslager, für die wir am letzten Freitag mit den Kindern auf einer kleinen Bühne im Freien geprobt haben.
Blick über Batroun
Weil am Samstag der 'Annunciaton Day' – die
Verkündigung des Herrn – zelebriert wird, ist außerdem eine Wandertour mit der N.E.S.T in den Norden geplant. Die Zeit verfliegt und ich bin dankbar über jeden freien Tag, an dem wir die Gelegenheit nutzen neue Städte, Dörfer und Landschaften zu erkunden. Immer wieder bin ich erstaunt, über die Vielfalt des Landes, die sich zwischen Meeresküste und Berggipfeln immer wieder offenbart.

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