Mittwoch, 21. Dezember 2016

Zwischen Powerpoint und Pyrotechnik.

Die Ereignisse der vergangenen Tage sind schnell erzählt und stellen dennoch ein Highlight dar: In der Zeit seit meinem letzten Blogeintrag ist erstaunlich wenig passiert. Etwas Alltag scheint eingekehrt zu sein, nach all den Ausflügen und Attraktionen. Ein Ort, an dem ich bisher verhältnismäßig wenig Zeit verbracht habe, ist die Bibliothek der N.E.S.T. Während ich in den wärmeren Herbsttagen meist auf dem Balkon gelesen habe, verschob sich mein Hauptarbeitsplatz in den letzten Wochen entweder in Gemeinschaftsräume, mein Zimmer oder andere Bibliotheken.
Am letzten Dienstag stand mir demnach eine Premiere bevor: Zum ersten Mal ließ ich mich für einige Stunden in der hauseigenen Bibliothek nieder, um an meinem Referat weiterzuarbeiten. Außerdem nahm ich mir etwas Zeit für einen Spaziergang durch den Regen, um die ersten Weihnachtsgeschenke zu besorgen.
Am Mittwoch morgen fuhr ich mit Maxie zum ersten Mal allein in das Zentrum im palästinensischen Flüchtlingslager, in dem wir ab Mitte Januar unsere Freiwilligenarbeit fortsetzen werden. Es dauerte eine Weile, bis wir uns gemeinsam mit der Leiterin auf einen Einsatzbereich in dem Haus mit den zahlreichen Möglichkeiten verständigen konnten. Im kommenden Jahr werden wir im Kindergarten der Einrichtung arbeiten, und mit den Kindern englischsprachige Lieder singen. Bereits am Mittwoch saßen wir für einen Moment auf den kindgerechten Miniaturstühlen an einem kleinen, runden Tisch, um einen ersten Eindruck einer der Klassen zu bekommen. Einigermaßen improvisiert ließ die Lehrerin die Kinder ein paar Lieder auf Arabisch und Englisch für uns singen. Im Vergleich zu der Schule, in der wir in den ersten Wochen unterrichtet haben, wirkt hier alles ein klein wenig strukturierter.
Bevor es am Nachmittag mit einer weiteren Folge Ostkirchen-Seminar weitergeht, mache ich mich auf einen weiteren Gang durch Hamra, um mich mit weiteren Weihnachtsgeschenken einzudecken. In den letzten Tagen merke ich, dass sich mein Gefühl für meine Umgebung ein wenig verändert hat. Während ich die Straßen in der Umgebung in den ersten Wochen zwar neugierig, aber doch vorsichtig erkundet habe, ist in der letzten Zeit die Neugier gemeinsam mit einem Gefühl der inneren Sicherheit in mir gewachsen. Während jede Busfahrt allein zunächst eine Herausforderung darzustellen schien, fühlt sich die Stadt nach nahezu drei Monaten inzwischen etwas vertrauter an. Ein gutes Gefühl.
St. Nicholas Treppen in Gemmayzeh
Am Donnerstag mache ich mich auf den Weg nach Gemmayzeh, um in der Bibliothek des Sursock-Museums meine Vorbereitungen für das bevorstehende Referat fortzusetzen. Während ich es mir zwischen Powerpointpräsentation und Wikipedia-Artikeln gemütlich gemacht habe, erreichen mich außerdem erfreuliche Neuigkeiten: Nachdem meine deutschen Kommilitonen und ich uns der Bürokratie ergaben, und erneut für unser Visum bezahlt haben, liegen bereits am selben Tag unsere Aufenthaltsgenehmigungen im Sekretariat der Hochschule bereit zur Abholung. Das erhoffte Weihnachtswunder ist somit eingetroffen: Ich darf in wenigen Tagen ausreisen ohne befürchten zu müssen, Anfang Januar nicht mehr hereingelassen zu werden.
Während ich mich in diesen Tagen mental auf meinen kurzen Besuch in Berlin und Bad Hersfeld vorbereite, steht für die deutschen Pastoren die endgültige Rückkehr nach Deutschland an. Nachdem die sechs in den letzten drei Monaten eine kurze Pause vom gewohnten Alltag eingelegt haben, steigen die meisten von ihnen noch bereits in diesem Monat mit bevorstehenden Weihnachtsgottesdiensten wieder in das Arbeitsleben ein. 
Mohammed Al-Amin Moschee
Zuvor aber fand am vergangenen Freitag die lang erwartete Weihnachtsfeier statt. Ein zweites Mal durften sich einige von uns in Schale werfen, um während des feierlichen Gottesdienstes ein paar Lieder in unseren bordeauxroten Roben zu singen. Im Anschluss stand außerdem ein festliches Weihnachtsmahl und ein gebührender Abschied von den Pastoren auf dem Programm. Außerdem war es an jenem Abend an der Zeit, bei Glühwein und Zimtsternen einem unserer Kommilitonen ein kleines Geschenk zu überreichen. Zu Beginn der Adventszeit zogen die meisten von uns einen Zettel, auf dem jeweils ein Name eines anderen Studierenden der Hochschule geschrieben stand. In den vergangenen Wochen hing für jeden Spielteilnehmer ein roter Weihnachtsstrumpf im Foyer, der vom jeweiligen 'Secret Santa' mit Süßigkeiten und kleinen Geschenken gefüllt wurde. Mit dem letzten Geschenk kam gleichzeitig die Auflösung des Rätsels, wer sich hinter dem persönlichen Weihnachtsmann verbarg. Ich wurde mit einem rosa Sparschwein aus Ton überrascht, das mir stolz von Yussif – einem syrischen Kommilitonen – überreicht wurde. Nachdem sich nach jeder Menge Twix eines Tages eine kleine Cherrytomate in meinem Strumpf befand, ging ich bereits davon aus, dass sich hinter meinem 'Secret Santa' ein Mensch mit Humor verbergen würde. Tatsächlich ist Yussif einer der lustigsten Menschen, die mir in meinem Leben je begegnet sind. Allein für die Erinnerung an seine zauberhaft unterhaltende Art habe ich mich sehr über das knallige Schweinchen gefreut. Ich hatte Marius – einen der zwei deutschen Jungs unserer Gruppe – gezogen, der offenbar bereits geahnt hatte, dass ich für die Geschenke in seinem Strumpf verantwortlich war. Während ich dachte, meine Geschenke seien vor allem durch Momo-Zitate und Briefpapier identifizierbar gewesen, meint er hingegen, ich habe mich durch meinen eindeutigen Süßigkeitengeschmack verraten. Dabei habe ich extra auf Snickers verzichtet, um die Spuren zu verwischen..
Auch das Wochenende stand im Zeichen der Universität. Nachdem Maxie und ich den Nachmittag erneut in der Bibliothek verbringen, werden wir am Abend mit einem Feuerwerk und musikalischer Unterhaltung für unsere Arbeit belohnt.
Im Herzen der Stadt, gleich neben der großen Muhammad Al-Amin Moschee wird mit einem Partywagen, lauter Musik und Ansprachen in zu hoher Tonlage der große Weihnachtsbaum zum Leuchten gebracht. So wenig die Konstruktionen aus Lichterketten, Kitsch und Plastik den Titel 'Baum' verdient, so sehr muss man den Libanesen doch eins lassen: Pyrotechnik können sie, und zwar wie! Während ein verrückt gewordener Weihnachtsmann von ein paar Soldaten durch die Menge geschoben wird und ein Karnevalsumzug über den Platz marschiert, bringt das beeindruckende Feuerwerk den schwarzen Nachthimmel zum Leuchten. 

Den Abend beende ich mit einem Bier in Hamra, bei dem Maxie von einem Fernsehsender zum Nachtleben Beiruts befragt wird. 
Am nächsten Morgen machen Clemens, Maxie, Lydia und ich uns auf den Weg, um am Gottesdienst einer armenisch-orthodoxen Gemeinde teilzunehmen. Die Kirche befindet sich in Bourj Hammoud, einer armenisch geprägten Ortschaft, die unmittelbar an Beirut grenzt.
Zwischen unzähligen Juweliergeschäften decken sich Maxie und Lydia nach dem zweistündigen Gottesdienst mit Trockenfrüchten ein. Außerdem verzichten wir auf das – sich auf Dauer wiederholende - Mittagessen der Hochschule und nehmen mit einer Falafel vorlieb. Am Nachmittag machen sich Maxie und ich daran, ein paar Ideen für unsere Dezemberandacht zu sammeln.
In der armenisch-orthodoxen St. Vartanants Kirche
Juweliergeschäfte in Bourj Hammoud
Die neue Woche beginnt mit einem ersten erfolgreichen Besuch im deutschen Orient-Institut. Nach zwei vorangegangenen Ausflügen in das arabische Haus, die vor verschlossenen Türen endeten, dringen wir nun endlich in die Bibliothek vor. Während sich Maxie und Lydia an ihre Ostkirchen-Berichte setzen, gestalte ich das Handout für mein Referat. Außerdem bin ich an jenem Tag mit meinen Gedanken in Deutschland: Erst, weil Jan seinen dreißigsten Geburtstag feiert, und ich traurig bin, nicht dabei sein zu können. Später, weil jemand mit einem LKW in einen Berliner Weihnachtsmarkt rast, und ich mich um Freunde und Familie in der Heimat sorge. Am Abend lernen Maxie, Lydia und ich außerdem zwei neue Kartenspiele von einer Ägypterin, ich schaue den Mädels beim Wasserpfeife rauchen zu und freue mich über eine frische Minzlimonade. 
Bevor ich mich auch am Dienstag meinem Referat und meinem Ostkirchen-Bericht widme, steht zunächst die Andacht auf dem Programm, die ich bereits zum fünften Mal mit Maxie zusammen halte. Wir widmen uns der Frage, was Heimat für uns bedeutet, und lassen die Anwesenden kleine Adventskalenderbriefchen schreiben, in denen sie ihren Sitznachbarn erzählen können, wo und was 'Heimat' für sie ist. Im versteckten Bibliotheks-Café in Gemmayzeh verbringen Maxie und ich den Nachmittag über unseren Laptops, bevor wir am Abend einen neuen Ort entdecken.
Gemütliches Konzert der 'Postcards'
Die Frau des Hochschulpräsidenten nimmt uns mit, auf ein kleines Konzert ihrer Tochter, die in einer alternativen Indie-Band spielt. Nichts in den Räumlichkeiten erinnert daran, dass wir uns irgendwo im Libanon befinden. Vielmehr fühlt es sich ein bisschen so an, als seien wir für einen kurzen Moment nach Deutschland zurückgekehrt.

Die ruhige Musik und die gemütliche Atmosphäre lassen mich für einige Momente Zeit und Raum vergessen. Ein zauberhafter Abend, den ich mit meinen spannenden Berichten über meine zahlreichen Bibliotheksbesuche der letzten Woche beende. Bereits übermorgen werde ich in den Flieger steigen, um mich dem deutschen Winter und der großen Wiedersehensfreude hinzugeben. Zeit für Klöße, Lebkuchen und ein paar Mortadellabrötchen! Allen Mitlesenden wünsche ich bereits jetzt ein frohes Weihnachtsfest und besinnliche Tage zwischen den Jahren. Bis auf 2017 und viele neue Geschichten aus Beirut!

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