Headquarter der armenisch-orthodoxen Kirche, Beirut |
Langsam aber sicher
bewegen wir uns auf die Weihnachtsferien zu – bis dahin stehen noch
einige schriftliche Reflexionen, ein Referat und erste
Klausurvorbereitungen auf dem Programm. In der vergangenen Woche habe
ich mir neben den regulären Unterrichtseinheiten Zeit für zwei
Berichte genommen, in denen ich mich mit zwei Ostkirchen-Besuchen
beschäftigt habe. Am Dienstagabend verzichten Lydia, Maxie und ich
auf das universitäre Abendessen, und gehen stattdessen mit Maxie's
Besuch und einem libanesischen Bekannten von Lydia etwas essen. Nach
einer etwas abstrusen Diskussion, in der uns unsere libanesische
Begleitung versucht zu erklären, dass die arabische und die
hebräische Sprache keinerlei Gemeinsamkeiten haben, sondern die
hebräische Sprache vielmehr jegliche Ähnlichkeiten schlichtweg aus
dem Arabischen geklaut habe, kehren wir zurück nach Hamra. Für
Maxie endet der Abend bedauerlicherweise mit einem schwer verdorbenen
Magen und einem Kurzbesuch im Krankenhaus.
Im Museum der Armenier |
Somit fällt für sie der
Ausflug in die armenische Kirche flach, der für den nächsten Tag
angesetzt ist. Es wird der letzte Ausflug im Rahmen unseres Seminars
über die Ostkirchen. Zunächst besuchen wir das 'Headquarter' der
armenischen Kirche im Libanon, in dem wir ein Museum besuchen und uns
mit einem Priester unterhalten. Da die Armenier immer wieder
Verfolgungen ausgesetzt waren, die sie dazu zwangen zu fliehen, ist
der Nahe Osten zu einem wichtigen Zentrum der Kirche geworden. Auch
an der N.E.S.T gibt es zahlreiche Armenier, die in Beirut ausgebildet
werden, weil hier armenische Traditionen in den Kirchen bestehen
geblieben sind, die in Armenien durch die anti-kirchliche Prägung in
der Sowjetunion verdrängt wurden.
Museum über den armenischen Genozid, Byblos |
Im Anschluss machen wir uns auf
den Weg nach Byblos, um dort ein erst kürzlich eröffnetes Museum zu
besuchen, in dem der Genozid an den Armeniern in Texten und Bildern
dokumentiert ist. Das Schicksal der Armenier erinnert mich in
vielerlei Hinsicht an die jüdische Geschichte, die einige Parallelen
aufzuweisen scheint.
Auf dem Weg zum Sufi-Treffen |
Es ist dunkel und
verregnet, als wir in Byblos über das neu errichtete Gelände
spazieren, und auch am nächsten Morgen werden wir von Donner und
schweren Regenfällen geweckt. Nach einer Stunde Einführung in den
Islam mache ich mich mit Lydia und einigen deutschen Pastorinnen auf
den Weg zu einer spirituellen Begegnung: Auf unserem interreligiösen
Ausflug in die Akkar Ebene lud eine der muslimischen Frauen dazu ein,
an einem wöchentlichen Treffen zum sufistischen Gebet teilzunehmen.
Unsere Straße, die auch an trockenen Tagen eine von Autos verstopfte
Katastrophe ist, wurde durch den Regen zu einer einzigen
Unmöglichkeit. Trotzdem beschlossen wir zunächst, uns in ein Taxi
zu wagen, um dem Regen zu entkommen. Nach zwanzig Minuten im Auto, in
denen wir uns vielleicht zwanzig Meter vorwärts bewegt hatten,
zersprang plötzlich die hintere Fensterscheibe des Wagens und
übersäte eine der Pfarrerinnen mit Glasscherben, ohne sie dabei zu
verletzen.
Der Taxifahrer, der außer sich vor Wut einem
vorbeifahrenden Motorradfahrer die Schuld für die Misere gab, hatte
nun jedenfalls zunächst andere Dinge zu tun, als uns weiter im
Schneckentempo durch den Regen zu fahren. Da uns der Stau jede Menge
Zeit geklaut hatte und die Zeit immer knapper wurde, beschlossen wir,
das Verkehrschaos zu umgehen und stattdessen den Regen in Kauf zu
nehmen. Trotz geliehenem Schirm landeten wir mit nassen Schuhen und
Hosen ein paar Minuten zu spät bei den Frauen, dich sich zum Gebet
getroffen hatten. Wir trafen auf viele bekannte Gesichter von unserem
Ausflug in den Norden, und ich staunte nicht schlecht als sich
herausstellte, dass eine der älteren Damen – die mich bereits bei
unserem Tagestrip aufgrund ihrer faszinierenden Ausstrahlung
beeindruckt hatte – die religiöse Führung des Gebets übernahm,
und offenbar eine Art 'Guru-Position' innehat. Ganz in weiß
gekleidet und in ein helles Kopftuch mit silberbunt leuchtenden
Pailletten gehüllt, liest sie aus einem alten, zerfledderten
Sufi-Buch, und teilt ihre Gedanken über den Text mit ihren
Zuhörerinnen. Wir erhalten jeweils eine Übersetzung ins Englische.
Normalerweise, so wird
uns erzählt, kommen um die zwanzig Frauen zum wöchentlichen Gebet.
Heute sind es vielleicht acht. „Shitty, shitty“ - sagt eine Frau,
die auf einem Sofa sitzt und mit ihrer Hand nach draußen zeigt. Wir
lachen. „Shitty“ ist das Libanesisch-Arabische Wort für Regen,
den die Frau für die Abwesenheit weiterer Teilnehmerinnen
verantwortlich macht. Ein besseres Wort hätte man nicht erfinden
können, um meine Gefühlslage gegenüber nasskaltem Regen und grauen
Wolken treffender in Worte zu fassen.
Das Gebet wird zu einer
besonderen Begegnung, als die Frauen eine Sufi-Meditation
durchführen, bei der auch wir aufgefordert werden, aufzustehen und
mitzumachen. Die Frauen singen und trommeln, bewegen sich rhythmisch
im Takt und tanzen und atmen sich langsam aber sicher in einen
tranceähnlichen Zustand. Auch wenn ich mich lediglich mit den Frauen
bewege, ohne den Atemrhythmus zu übernehmen, der einer
Hyperventilation gleich zu kommen scheint, so ist es doch eine sehr
intensive und teils befremdliche Erfahrung, derart nah am Geschehen
teilzuhaben. Das Treffen endet mit Kaffee für alle und Wasserpfeife
für die libanesischen Frauen, die sich über Gruppenfotos freuen,
solange sie unter dem Koran und nicht der Wasserpfeife festgehalten
werden.
Spaziergang durch Sidon |
Am kommenden Tag bleibt
mir endlich Zeit, mich an meine Texte für die Uni zu setzen, bevor
wir Maxie und ich am frühen Abend in die American University gehen,
um uns einen Vortrag von Patrick Cockburn, einem irischen
Journalisten, über internationalen Journalismus in Syrien und im
Irak anzuhören. Eine Veranstaltung, nach der sich mein
Erkenntnisgewinn eher in Grenzen hält, wenngleich es immer wieder
spannend ist, den leicht elitär wirkenden, politikwissenschaftlichen
Nachwuchs an der American University zu beobachten. Nach dem
Abendessen treffen wir uns außerdem mit Uwe Gräbe, der bei der EMS
(Evangelische Mission in Solidarität, meine Entsendeorganisation)
für uns zuständig ist, und für mehrere Konferenzen in den Nahen
Osten gekommen ist. Bei einem Bier erzählen wir über unsere
Eindrücke und Erfahrungen der ersten zwei einhalb Monate, sprechen
über die Dynamik in unserer Gruppe und über theologische wie auch
politische Differenzen.
Hafen von Sidon |
Am Samstag machen wir uns
am Morgen auf den Weg in den Süden des Landes, um in Sidon ein
islamisches Gericht zu besuchen. Wir sind mit unserem Islam-Dozenten
Dr. Ford und einer libanesischen Studentin unterwegs, die sich
intensiv mit islamischem Recht befasst. Wir besuchen nicht nur das
Archiv des Hauses, sondern dürfen auch aktiv an den Verhandlungen
teilnehmen, die uns die libanesische Studentin übersetzt. Wenngleich
der Sheikh und Richter in erster Linie für finanzielle Anliegen
zuständig ist, sind es häufig familiäre Angelegenheiten, die teils
leise und teils lauthals vor uns verhandelt werden.
Islamisches Gericht |
Besonders
emotional ist ein Fall, in dem ein Vater als Vertreter für seinen
verheirateten Sohn erscheint, der seine Ehefrau offenbar geschlagen
hat, die mit ihren Eltern erschienen ist. Die Frau ist mit einer
Tochter schwanger, die sie offenbar selbstständig versucht hat
abzutreiben, da sich der Ehemann offenbar einen Sohn wünscht, und
der anwesende Vater außerdem damit droht, das Kind auch nach einer
Scheidung zu sich und dem Mann holen zu wollen. Geschichten, die das
Leben schreibt – und die sich selbst Fernsehrichter nicht schöner
hätten ausdenken können.
Altstadt von Sidon |
Gemeinsam mit dem
freundlichen Sheikh spazieren wir nach den Verhandlungen durch die
alten Souks der alten Stadt, die malerisch am Meer gelegen ist, und
mich durch ihre alten Häuser und kleinen Gassen zu beeindrucken
weiß. Nach einem überteuerten Mittagessen mit Meerblick in der
Sonne kehren wir am Abend zurück nach Beirut.
Ich bin dankbar, als ich
am Sonntag nach den zahlreichen Begegnungen ausschlafen kann, und
verbringe den Tag vor dem Computer, um einen Bericht über meinen
Gottesdienstbesuch der griechisch-orthodoxen Kirche zu schreiben.
Besuch im Flüchtlingslager |
Auch die neue Woche
beginnt mit einem ereignisreichen Tag, der am frühen Morgen mit
einem Ausflug ins Flüchtlingslager führt. Endlich haben Maxie und
ich Gelegenheit, gemeinsam mit den deutschen Pfarrern ein
christliches Zentrum zu besuchen, in dem palästinensische Kinder,
Jugendliche und Erwachsene gefördert und ausgebildet werden. Dort
werden wir voraussichtlich ab Mitte Januar nach meiner Rückkehr aus
Deutschland ehrenamtlich arbeiten.
Im Vergleich zur ersten
Organisation, in der wir einige Wochen Englischnachhilfe gegeben
hatten, scheint es hier wesentlich gesitteter zuzugehen. Die Kinder
sitzen ruhig auf ihren Plätzen und begrüßen uns mit Liedern und
strahlenden Augen. Nach einer Führung durch das Zentrum und einem
langen Spaziergang durch die Tiefen des armseligen Camps vereinbaren
wir einen ersten Termin, um den Ort bei einem zweiten Besuch noch
besser kennenzulernen.
Sonne und Zuckerwatte in Sidon |
Mit Schnupfen und einem
dicken Schädel meine ich für diesen Tag ausreichend Eindrücke
gesammelt zu haben. Allerdings ist für den Nachmittag und frühen
Abend ein weiterer Termin angekündigt, der uns in das Haus der
'Adyan'-Stiftung führt. Trotz Müdigkeit und Schnupfnase bereue ich
es keine Sekunde, mich an diesem Tag ein zweites Mal aus dem Haus
bewegt zu haben: Die interreligiöse Organisation, die sich
Pluralismus und die Förderung eines guten Zusammenlebens auf die
Fahnen geschrieben hat, entspricht auf den ersten Blick allen
Kriterien eines für mich passend erscheinenden Arbeitgebers: Der
Stiftung scheint es zu gelingen, akademisch
religionswissenschaftliche Arbeit mit politisch-gesellschaftlichen
Themen zu verknüpfen und dabei die spirituelle Ebene nicht außer
Acht zu lassen.
Kreuzfahrerburg in Sidon |
Die Lebensgeschichte der Mitgründerin, mit der wir
zum Gespräch an einen Tisch gekommen sind, erinnert mich in
vielerlei Hinsicht an meine eigene. Die sympathische Muslima ist in
einem religiös gemischten Umfeld aufgewachsen, hat eine christliche
Schulbildung genossen und studierte später Religionswissenschaft,
bevor sie 2006 mit anderen Christen und Muslimen die Stiftung
gründete. Das Treffen mit ihr und dem Leiter der Organisation war
bisher definitiv ein Highlight unter unseren zahlreichen Begegnungen.
Mittagessen mit Meerblick in Sidon |
Maxie, Lydia und ich sind von der Organisation sehr angetan, und
hoffen, auch in Zukunft erneut ins Gespräch kommen zu können.
Mit Norah Jones und einer
Packung Taschentücher nutze ich nun die Abendstunden, um die
Erlebnisse der letzten Tage mit euch zu teilen und merke dabei, wie
sich die Ereignisse überschlagen und wie viele Bilder und Eindrücke
in der kurzen Zeit seit Jans Abreise auf mich eingerieselt sind.
Auch die folgenden Tage
könnten kaum vollgestopfter sein. Allerdings erwäge ich, die ein
oder andere Begegnung ausfallen zu lassen, um mit viel Tee und Schlaf
erst Mal wieder fit zu werden, bevor die bunten und dunklen Eindrücke
auf mich einprasseln werden, wie dicke, fette Regentropfen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen