Montag, 12. Dezember 2016

Warten auf ein Weihnachtswunder.


Die 99 Namen Gottes
Nachdem die vergangene Woche mit einem Ausflug ins Flüchtlingslager und einem Besuch der interreligiösen 'Adyan-Stiftung' begann, geht es am nächsten Morgen mit einem Vortrag im 'Institute for Woman's Studies in the Arab World' weiter. Bei Keksen, Tee und Taschentüchern stellt die dezent übermotiviert wirkende Leiterin das Institut vor, das es sich zum Ziel gesetzt hat, Frauen in der arabischen Welt eine Stimme zu geben. 
Am Abend steht eigentlich die finale Arabischstunde an, in der eine Abschlussklausur geschrieben wird. Da ich dank meiner Erkältung weder vorbereitet noch motiviert bin, beschließe ich auf die Prüfung zu verzichten und stattdessen mit einem Tee unter meiner Bettdecke vorlieb zu nehmen. Auch den kommenden Tag lasse ich, bis auf 2 ½ Stunden Ostkirchenseminar, vom Bett aus an mir vorüberziehen. Eine kurze Verschnaufpause, die mir zwischen all den Besuchen, Vorträgen und Gesprächen eigentlich ganz gelegen kommt.
Ornament in der Hariri-Moschee, Sidon
Nachdem wir bereits bei unserem Ausflug ins islamische Gericht Bekanntschaft mit dem Imam und Richter Sheikh Muhammad Abu Zeid gemacht haben, sollen wir in dieser Woche erneut mehrfach aufeinandertreffen. Anstelle von unserem Islam-Dozenten Dr. Ford übernimmt am nächsten Morgen der islamische Gelehrte die Unterrichtseinheit, um uns ein von ihm veröffentlichtes Werk vorzustellen, dass sich vorrangig mit der historischen Entwicklung des Jihad-Verständnisses und verschiedenen Perspektiven auf den Krieg in Syrien beschäftigt.
Blick aus der Hariri-Moschee, Sidon
Am Nachmittag verschwinden wir für einige Stunden in den Libanon vergangener Zeiten, als wir uns plötzlich im Wohnzimmer der libanesischen Autorin Emily Nasrallah wiederfinden. Eine der Frauen aus der Pastorengruppe - die für drei Monate ihr Sabbatical in Beirut macht – ist eine Freundin der Autorin, und hat die anderen Pastoren und Maxie, Lydia und in die geräumige und gemütlich warme Wohnung mitgenommen. Bei einer Tasse Tee und überkandierten Früchten, die uns von den zwei asiatischen Hausdamen serviert werden, hören wir der junggebliebenen Dame zu, die uns an ihrer Lebensgeschichte teilhaben lässt. Ihre Bücher - von denen ich bisher noch keines gelesen habe – handeln offenbar vor allem vom Leben in ihrem Heimatdorf und der Zeit des libanesischen Bürgerkrieges. Als erste Frau aus ihrem Dorf hat Emily in den 50er Jahren seinerzeit ihr Elternhaus verlassen, um in Beirut in ein anderes Leben einzutauchen. Die beeindruckende Frau erzählt mit unendlich scheinender Liebe von ihrem bereits verstorbenem Ehemann, und berichtet über die Höhen und Tiefen ihres Lebens im Libanon. Ihre leuchtenden Augen bestärken mich in meinem Vorhaben, nie aufzuhören Geschichten zu erzählen.

Besuch in der Hariri-Moschee
Glücklicherweise geht es mir am Freitag schon wieder etwas besser, sodass ich mich am Morgen gemeinsam mit Dr. Ford und den anderen Kursteilnehmern erneut auf den Weg nach Sidon machen kann, um am Freitagsgebet in der Moschee von Sheikh Muhammad teilzunehmen. Vor dem Gebet besuchen wir zunächst die pompöse Hariri-Moschee, die vom ehemaligen Premierminister Rafiq Hariri erbaut wurde. Die Räumlichkeiten bieten für unzählige Gläubige Platz. Mehrere tausend Betende nehmen dort am Freitagsgebet teil.


Freitagsgebet
Wir hingegen machen uns nach unserem Besuch auf den Weg in die Moschee von Sheikh Muhammad, und ich beobachte wenig später das Geschehen von der Frauenempore.
Nach dem Gebet werden wir mit Datteln und viel zu süßem 'Turkish Delight' herzlich willkommen geheißen, und in einem der Versammlungsräume außerdem zum Mittagessen eingeladen. Auch bei unserem zweiten Besuch in Sidon fühle ich mich in den sonnigen Straßen in der gemütlichen Hafenstadt sehr wohl. Bevor wir nach Beirut zurückkehren, steht noch ein kurzer Besuch im Seifenmuseum an, das von allen Seiten hoch gelobt wird. Tatsächlich ist die Gestaltung des Museums sehr ansprechend, wenngleich sich mein Interesse für die Entstehung der Seife in Grenzen hält. Am Abend erwartet uns an der N.E.S.T eine Gesangsstunde mit der Frau des Hochschulpräsidenten, die gleichzeitig die letzte Chorprobe vor unserem ersten offiziellen Auftritt darstellt. Einigermaßen abrupt wie überraschend wird die Probe allerdings vorzeitig abgebrochen, als es plötzlich zu einer Auseinandersetzung zwischen einem Chorteilnehmer und der Leiterin kommt. Umso gespannter blicken wir dem kommenden Tag entgegen, an dem wir uns am Nachmittag in das Dorf Dhour El Choueir begeben.
Adventssingen im Harry Potter-Outfit
Dort findet ein interkonfessionelles Adventssingen in insgesamt vier Kirchen statt. Der Abend beginnt mit einer halbstündigen Veranstaltung in der protestantischen Kirche, die vom Präsidenten unserer Hochschule geleitet wird und in der wir zu unserer aller Belustigung in bordeauxroten Roben zwei Lieder zum Besten geben. Die repräsentative Veranstaltung, die nicht nur christliche Stimmen, sondern auch einen muslimischen Chor auf dem Programm stehen hat, wird von einem christlichen Fernsehsender und einigen Politikern begleitet.
Gewappnet mit heißer Schokolade und allen warmen Kleidungsstücken, die mein Schrank so hergegeben hat, geht es direkt weiter zu den Maroniten, bei denen die Reihen deutlich besser gefüllt sind als bei uns. Außerdem statten wir auch dem griechisch-orthodoxen Männerchor einen Besuch ab, bevor wir es uns bei Crêpe und deutscher Bratwurst gut gehen lassen. In der griechisch-katholischen Kirche gibt es für uns keinen Platz mehr, weil dort eine bekannte libanesische Sängerin auftritt, die an diesem Abend alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Den krönenden Abschluss allerdings lassen wir uns dennoch nicht entgehen: Im Zentrum des Ortes steht ein riesiger Weihnachtsbaum aus Plastik, der mit theatralischem Operngesang und einem riesigen Feuerwerk elektrisch zum Leuchten gebracht wird. Für einige Minuten macht das Lichtermeer am Himmel die Nacht zum Tag, und lässt die Kälte der Berge für einen Moment vergessen. Der erfolgreiche Abend wird mit einem Tee im Café Prag mit Maxie und Nabil und einer extra Portion Schlaf reichlich belohnt.
Feuerwerk in Dhour El Choueir
Den dritten Advent verbringe ich an der N.E.S.T, um mich nach den vielen Besuchen wieder der Universität und einigen Erledigungen für Deutschland zu widmen. Apropos Deutschland: Im Grunde hoffe ich darauf, bereits in der kommenden Woche am Freitag in den Flieger zu steigen, um Heiligabend und den Start in das neue Jahr mit Freunden und Familie zu verbringen. Momentan ist diese Reise jedoch noch einigermaßen ungewiss, da ich bislang auf mein Visum warte. Seit über 2 ½ Monaten befindet sich mein Reisepass nun bereits auf einem Amt, das aus mir unerfindlichen Gründen noch nicht die Zeit dafür gefunden zu haben scheint, mir und meinen ausländischen Kommilitonen den entsprechenden Sticker in den Pass zu kleben. Nun bietet sich in dieser Woche die Möglichkeit, auf legalem Wege einen Aufpreis zu bezahlen, um den Prozess zu beschleunigen. Wenn alles klappt müsste das Dokument dann einen Tag vor meiner Abreise abholbereit sein. Da ich nach der ein oder anderen Erfahrung im Nahen Osten allerdings aufgehört habe, offiziellen Zeitangaben zu glauben, bleibt mir nur zu hoffen, dass ein kleines Weihnachtswunder geschieht.
Maronitischer Chor beim Adventssingen
Der Abend steht im Zeichen der armenischen Studierenden, die mit uns an der N.E.S.T leben und zu einem groß angekündigten Barbecue einladen. Die Veranstaltung erinnert mich stark an vergangene Feierlichkeiten während meines Freiwilligendienstes am Internat: Die armenischen Studentinnen haben sich hübsch gemacht, es gibt jede Menge Fleisch auf Plastiktellern und Softgetränke aus Plastikbechern. Nach dem großen Mahl gibt es laute Musik und mehr Müll als Reste. Ein Traum einer jeden – einigermaßen umweltbewussten - Durchschnittsdeutschen, die auch hier bei jedem Besuch im Supermarkt dafür belächelt wird, wenn sie mit Stoffbeutel in der Hand die Plastiktüte dankend ablehnt.
Griechisch-Orthodoxer Chor beim Adventssingen
Die neue Woche startet mit einem Ausflug in die kleine Bibliothek des Sursock-Museums, das sich in Gemmayzeh befindet. Ursprünglich bestand die Überlegung, nun endlich die Räume des deutschen Orient-Instituts zum Lernen zu nutzen – allerdings wurden wir bei unserer Ankunft bereits ein zweites Mal von einer Konferenz überrascht, wegen der die Bibliothek geschlossen blieb. Da ich einen Tag vor meiner (hoffentlich) bevorstehenden Abreise nach Berlin noch ein Referat über den muslimischen Denker Tariq Ramadan halten muss, verbringe ich fünf Stunden über einem seiner Aufsätze, der sich mit der Sharia und Muslimen in Europa befasst. Kurz vor dem Abendessen lädt die deutsche Gemeinde außerdem zu Glühwein und Stollen, um sich bei den Helfern des Weihnachtsmarktes zu bedanken. Als ich den Raum betrete, habe ich das Gefühl den Altersdurchschnitt der Veranstaltung deutlich zu senken – an diesem Abend besteht die Gemeinde in erster Linie aus einer Runde älterer Damen. In den Wochen der Vorbereitung sind uns aber auch immer wieder jüngere Mütter aus Deutschland begegnet, die aus verschiedensten Gründen im Libanon sind und ihre Zeit nicht nur den Vorbereitungen für den Basar, sondern auch der Gemeindearbeit mit Kindern widmen.

In den nächsten Tagen steht vor allem die Vorbereitung meines Referats auf dem Programm, außerdem findet am Freitag die große Weihnachtsfeier statt, für die wir seit Wochen Adventslieder einstudieren und die den Abschluss des Programms für die Pastoren darstellen wird. Für den vierten Advent planen Lydia, Maxie und ich den Besuch eines armenischen Gottesdienstes, um den letzten ausstehenden Ostkirchen-Bericht fertigzustellen, bevor ich in der kommenden Woche hoffentlich nach Deutschland fliegen kann. Während der Advent für die meisten Christen also die Zeit der Erwartung auf die Geburt Jesu und das Fest unterm Weihnachtsbaum ist – bleibt es für mich die Zeit der Erwartung auf mein Visum und die Hoffnung auf ein kleines Weihnachtswunder.

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