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Die 99 Namen Gottes |
Nachdem die vergangene
Woche mit einem Ausflug ins Flüchtlingslager und einem Besuch der
interreligiösen 'Adyan-Stiftung' begann, geht es am nächsten Morgen
mit einem Vortrag im 'Institute for Woman's Studies in the Arab
World' weiter. Bei Keksen, Tee und Taschentüchern stellt die dezent
übermotiviert wirkende Leiterin das Institut vor, das es sich zum
Ziel gesetzt hat, Frauen in der arabischen Welt eine Stimme zu geben.
Am Abend steht eigentlich die finale Arabischstunde an, in der eine
Abschlussklausur geschrieben wird. Da ich dank meiner Erkältung
weder vorbereitet noch motiviert bin, beschließe ich auf die Prüfung
zu verzichten und stattdessen mit einem Tee unter meiner Bettdecke
vorlieb zu nehmen. Auch den kommenden Tag lasse ich, bis auf 2 ½
Stunden Ostkirchenseminar, vom Bett aus an mir vorüberziehen. Eine
kurze Verschnaufpause, die mir zwischen all den Besuchen, Vorträgen
und Gesprächen eigentlich ganz gelegen kommt.
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Ornament in der Hariri-Moschee, Sidon |
Nachdem wir bereits bei
unserem Ausflug ins islamische Gericht Bekanntschaft mit dem Imam und
Richter Sheikh Muhammad Abu Zeid gemacht haben, sollen wir in dieser
Woche erneut mehrfach aufeinandertreffen. Anstelle von unserem
Islam-Dozenten Dr. Ford übernimmt am nächsten Morgen der islamische
Gelehrte die Unterrichtseinheit, um uns ein von ihm veröffentlichtes
Werk vorzustellen, dass sich vorrangig mit der historischen
Entwicklung des Jihad-Verständnisses und verschiedenen Perspektiven
auf den Krieg in Syrien beschäftigt.
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Blick aus der Hariri-Moschee, Sidon |
Am Nachmittag
verschwinden wir für einige Stunden in den Libanon vergangener
Zeiten, als wir uns plötzlich im Wohnzimmer der libanesischen
Autorin Emily Nasrallah wiederfinden. Eine der Frauen aus der
Pastorengruppe - die für drei Monate ihr Sabbatical in Beirut macht
– ist eine Freundin der Autorin, und hat die anderen Pastoren und
Maxie, Lydia und in die geräumige und gemütlich warme Wohnung
mitgenommen. Bei einer Tasse Tee und überkandierten Früchten, die
uns von den zwei asiatischen Hausdamen serviert werden, hören wir
der junggebliebenen Dame zu, die uns an ihrer Lebensgeschichte
teilhaben lässt. Ihre Bücher - von denen ich bisher noch keines
gelesen habe – handeln offenbar vor allem vom Leben in ihrem
Heimatdorf und der Zeit des libanesischen Bürgerkrieges. Als erste
Frau aus ihrem Dorf hat Emily in den 50er Jahren seinerzeit ihr
Elternhaus verlassen, um in Beirut in ein anderes Leben einzutauchen.
Die beeindruckende Frau erzählt mit unendlich scheinender Liebe von
ihrem bereits verstorbenem Ehemann, und berichtet über die Höhen
und Tiefen ihres Lebens im Libanon. Ihre leuchtenden Augen bestärken
mich in meinem Vorhaben, nie aufzuhören Geschichten zu erzählen.
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Besuch in der Hariri-Moschee |
Glücklicherweise geht es
mir am Freitag schon wieder etwas besser, sodass ich mich am Morgen
gemeinsam mit Dr. Ford und den anderen Kursteilnehmern erneut auf den
Weg nach Sidon machen kann, um am Freitagsgebet in der Moschee von
Sheikh Muhammad teilzunehmen. Vor dem Gebet besuchen wir zunächst
die pompöse Hariri-Moschee, die vom ehemaligen Premierminister Rafiq
Hariri erbaut wurde. Die Räumlichkeiten bieten für unzählige
Gläubige Platz. Mehrere tausend Betende nehmen dort am Freitagsgebet
teil.
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Freitagsgebet |
Wir hingegen machen uns nach unserem Besuch auf den Weg in die
Moschee von Sheikh Muhammad, und ich beobachte wenig später das
Geschehen von der Frauenempore.
Nach dem Gebet werden wir mit Datteln
und viel zu süßem 'Turkish Delight' herzlich willkommen geheißen,
und in einem der Versammlungsräume außerdem zum Mittagessen
eingeladen. Auch bei unserem zweiten Besuch in Sidon fühle ich mich
in den sonnigen Straßen in der gemütlichen Hafenstadt sehr wohl. Bevor wir nach Beirut zurückkehren, steht noch ein kurzer Besuch im
Seifenmuseum an, das von allen Seiten hoch gelobt wird. Tatsächlich
ist die Gestaltung des Museums sehr ansprechend, wenngleich sich mein
Interesse für die Entstehung der Seife in Grenzen hält. Am Abend
erwartet uns an der N.E.S.T eine Gesangsstunde mit der Frau des
Hochschulpräsidenten, die gleichzeitig die letzte Chorprobe vor
unserem ersten offiziellen Auftritt darstellt. Einigermaßen abrupt
wie überraschend wird die Probe allerdings vorzeitig abgebrochen,
als es plötzlich zu einer Auseinandersetzung zwischen einem
Chorteilnehmer und der Leiterin kommt. Umso gespannter blicken wir
dem kommenden Tag entgegen, an dem wir uns am Nachmittag in das Dorf
Dhour El Choueir begeben.
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Adventssingen im Harry Potter-Outfit |
Dort findet ein interkonfessionelles
Adventssingen in insgesamt vier Kirchen statt. Der Abend beginnt mit
einer halbstündigen Veranstaltung in der protestantischen Kirche,
die vom Präsidenten unserer Hochschule geleitet wird und in der wir
zu unserer aller Belustigung in bordeauxroten Roben zwei Lieder zum
Besten geben. Die repräsentative Veranstaltung, die nicht nur
christliche Stimmen, sondern auch einen muslimischen Chor auf dem
Programm stehen hat, wird von einem christlichen Fernsehsender und
einigen Politikern begleitet.
Gewappnet mit heißer
Schokolade und allen warmen Kleidungsstücken, die mein Schrank so
hergegeben hat, geht es direkt weiter zu den Maroniten, bei denen die
Reihen deutlich besser gefüllt sind als bei uns. Außerdem statten
wir auch dem griechisch-orthodoxen Männerchor einen Besuch ab, bevor
wir es uns bei Crêpe und deutscher Bratwurst gut gehen lassen. In
der griechisch-katholischen Kirche gibt es für uns keinen Platz
mehr, weil dort eine bekannte libanesische Sängerin auftritt, die an
diesem Abend alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Den krönenden
Abschluss allerdings lassen wir uns dennoch nicht entgehen: Im
Zentrum des Ortes steht ein riesiger Weihnachtsbaum aus Plastik, der
mit theatralischem Operngesang und einem riesigen Feuerwerk
elektrisch zum Leuchten gebracht wird. Für einige Minuten macht das
Lichtermeer am Himmel die Nacht zum Tag, und lässt die Kälte der
Berge für einen Moment vergessen. Der erfolgreiche Abend wird mit
einem Tee im Café Prag mit Maxie und Nabil und einer extra Portion
Schlaf reichlich belohnt.
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Feuerwerk in Dhour El Choueir |
Den dritten Advent verbringe ich an der
N.E.S.T, um mich nach den vielen Besuchen wieder der Universität und
einigen Erledigungen für Deutschland zu widmen. Apropos Deutschland:
Im Grunde hoffe ich darauf, bereits in der kommenden Woche am Freitag
in den Flieger zu steigen, um Heiligabend und den Start in das neue
Jahr mit Freunden und Familie zu verbringen. Momentan ist diese Reise
jedoch noch einigermaßen ungewiss, da ich bislang auf mein Visum
warte. Seit über 2 ½ Monaten befindet sich mein Reisepass nun
bereits auf einem Amt, das aus mir unerfindlichen Gründen noch nicht
die Zeit dafür gefunden zu haben scheint, mir und meinen
ausländischen Kommilitonen den entsprechenden Sticker in den Pass zu
kleben. Nun bietet sich in dieser Woche die Möglichkeit, auf legalem
Wege einen Aufpreis zu bezahlen, um den Prozess zu beschleunigen.
Wenn alles klappt müsste das Dokument dann einen Tag vor meiner
Abreise abholbereit sein. Da ich nach der ein oder anderen Erfahrung
im Nahen Osten allerdings aufgehört habe, offiziellen Zeitangaben zu
glauben, bleibt mir nur zu hoffen, dass ein kleines Weihnachtswunder
geschieht.
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Maronitischer Chor beim Adventssingen |
Der Abend steht im
Zeichen der armenischen Studierenden, die mit uns an der N.E.S.T leben
und zu einem groß angekündigten Barbecue einladen. Die
Veranstaltung erinnert mich stark an vergangene Feierlichkeiten
während meines Freiwilligendienstes am Internat: Die armenischen
Studentinnen haben sich hübsch gemacht, es gibt jede Menge Fleisch
auf Plastiktellern und Softgetränke aus Plastikbechern. Nach dem
großen Mahl gibt es laute Musik und mehr Müll als Reste. Ein Traum
einer jeden – einigermaßen umweltbewussten -
Durchschnittsdeutschen, die auch hier bei jedem Besuch im Supermarkt
dafür belächelt wird, wenn sie mit Stoffbeutel in der Hand die
Plastiktüte dankend ablehnt.
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Griechisch-Orthodoxer Chor beim Adventssingen |
Die neue Woche startet
mit einem Ausflug in die kleine Bibliothek des Sursock-Museums, das
sich in Gemmayzeh befindet. Ursprünglich bestand die Überlegung,
nun endlich die Räume des deutschen Orient-Instituts zum Lernen zu
nutzen – allerdings wurden wir bei unserer Ankunft bereits ein
zweites Mal von einer Konferenz überrascht, wegen der die Bibliothek
geschlossen blieb. Da ich einen Tag vor meiner (hoffentlich)
bevorstehenden Abreise nach Berlin noch ein Referat über den
muslimischen Denker Tariq Ramadan halten muss, verbringe ich fünf
Stunden über einem seiner Aufsätze, der sich mit der Sharia und
Muslimen in Europa befasst. Kurz vor dem Abendessen lädt die
deutsche Gemeinde außerdem zu Glühwein und Stollen, um sich bei den
Helfern des Weihnachtsmarktes zu bedanken. Als ich den Raum betrete,
habe ich das Gefühl den Altersdurchschnitt der Veranstaltung
deutlich zu senken – an diesem Abend besteht die Gemeinde in erster
Linie aus einer Runde älterer Damen. In den Wochen der Vorbereitung
sind uns aber auch immer wieder jüngere Mütter aus Deutschland
begegnet, die aus verschiedensten Gründen im Libanon sind und ihre
Zeit nicht nur den Vorbereitungen für den Basar, sondern auch der
Gemeindearbeit mit Kindern widmen.
In den nächsten Tagen
steht vor allem die Vorbereitung meines Referats auf dem Programm,
außerdem findet am Freitag die große Weihnachtsfeier statt, für
die wir seit Wochen Adventslieder einstudieren und die den Abschluss
des Programms für die Pastoren darstellen wird. Für den vierten
Advent planen Lydia, Maxie und ich den Besuch eines armenischen
Gottesdienstes, um den letzten ausstehenden Ostkirchen-Bericht
fertigzustellen, bevor ich in der kommenden Woche hoffentlich nach
Deutschland fliegen kann. Während der Advent für die meisten
Christen also die Zeit der Erwartung auf die Geburt Jesu und das Fest
unterm Weihnachtsbaum ist – bleibt es für mich die Zeit der
Erwartung auf mein Visum und die Hoffnung auf ein kleines Weihnachtswunder.
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