Samstag, 15. Oktober 2016

Zwischen Kirchen und Kauderwelsch


Streetart in Beirut
Als wir am Donnerstagabend zwischen 'Art Lounge' und 'Community-Treffen' wählen müssen, wird uns die Entscheidung abgenommen: Spontan wird die 'Art Lounge' um eine halbe Stunde verschoben, sodass wir an beiden Veranstaltungen teilnehmen können. Als die neuen Repräsentanten des Sports-, Social life- und Spiritual life-Committees feststehen, begeben wir uns in den Keller des Gebäudes, um gemeinsam Kunst zu machen.
Geplant ist, in naher Zukunft die Fassade des Hauses mit bunten Kunstwerken aus Plastikflaschen und Zement zu verschönern. Zunächst aber haben wir die Möglichkeit, das Material kennenzulernen und erste kleine Arbeiten zu fabrizieren. Ich versuche, bunte Eier aus Zement herzustellen und verwende hierfür natürlich eines der wenigen Materialien auf dem Tisch, die nicht für die Arbeit mit Zement gedacht waren. Nicht so schlimm, findet unsere schwäbische Leiterin – und so fülle ich die weiß-graue Flüssigkeit in einen Plastikbehälter, der einer runden Eiswürfelform gleicht. Eine Woche später muss ich das Behältnis zerbrechen, um die Kugeln herauszulösen. Ein einigermaßen gelungener erster Versuch..

Wenig später steht uns ein erster Besuch im palästinensischen Flüchtlingslager bevor. Eine syrische Studentin der N.E.S.T begleitet uns und gibt sich jede Menge Mühe, den Weg und das chaotische Bussystem verständlich zu erklären. Dort vereinbaren Maxie, Lydia und ich einen Termin, um in Zukunft regelmäßig 5-10 Jährigen Englisch zu unterrichten.

Das zweite Wochenende in Beirut nutzen Maxie, Lydia und ich, um das westlich geprägte Hamra in den Abendstunden zu erkunden. Einen Ort für ein gediegenes Feierabendbier zu finden ist eine Leichtigkeit – ein Glas Arak hingegen entpuppt sich als echte Herausforderung. Letztlich aber werden wir fündig, und bekommen drei Gläser serviert – hausgemacht.
Bar in Hamra

Der Sonntag steht im Zeichen der Ost-Kirchen. Unsere erste Exkursion führt uns in einen assyrischen Gottesdienst. Es eröffnet sich uns eine zweistündige Prozedur, die einem antiken Theaterstück zu gleichen scheint. Ein roter Vorhang verdeckt zunächst den Altar, den Priester und seine Gehilfen – bis der Gottesdienst beginnt und der dicke Samtstoff zur Seite gezogen wird. Ein Chor steht auf der Empore und singt mal gemeinsam mal abwechselnd mit der Gemeinde die traditionellen assyrischen Gesänge und Gebete. Teil des Gottesdienstes ist außerdem der Friedensgruß unter den zahlreichen Besuchern, die sich während der Messe die Hände reichen und anschließend symbolisch küssen.
Im Anschluss lädt der Priester bei einer Tasse Kaffee zum Gespräch. Er betont, dass wir uns in der Kirche wie zu Hause fühlen sollten, und sie ein Ort für Menschen aller Konfessionen und Religionen sei. In einer Zeit, in der die Kirche vom Aussterben bedroht und ständiger Verfolgung ausgesetzt ist, bangen die Mitglieder um ihr Leben im Nahen Osten und die Existenz der Gemeinden. Umso erfreulicher scheint es, dass er in seinen Worten nicht nur Christen, sondern auch Muslime einschließt und als Gäste willkommen heißt.
Shiitisches Viertel, geschmückt für Ashura
Am Abend veranstaltet die N.E.S.T eine Gedenkzeremonie für einen ehemaligen Dozenten der Universität. Der zweite Gottesdienst im Laufe des Tages.
Wenig später machen sich Maxie und ich auf den Weg in ein Hotel in der Nähe, um eine deutsche Reisegruppe des Journalistennetzwerks 'al-shark' zu treffen. Die Gruppe reist derzeit für zehn Tage durch das Land und es besteht die Möglichkeit, als Außenstehender an einzelnen Programmpunkten teilzunehmen. An diesem Abend findet ein Vortrag zum Thema Pressefreiheit im Libanon statt, den wir gespannt verfolgen.
Am kommenden Montagmorgen begleiten wir die Gruppe in die Berghof-Stiftung, in der uns ein äußerst eloquenter Jordanier einen Einblick in die sunnitische Gesellschaft im Libanon vermittelt. Er selbst hat in Deutschland studiert und spricht ausgezeichnet Deutsch. Er zeichnet ein recht düsteres Bild der aktuellen politischen Verhältnisse, kritisiert die Nichtexistenz von Frauenrechten und betont die komplexen inner-sunnitischen Konflikte.
Spuren des Krieges inmitten von Beirut
Von Dienstag bis Donnerstag bleibt jeweils wenig Zeit für außeruniversitäre Aktivitäten. Die meiste Zeit verbringe ich auf der großen Terrasse des Hauses, lese einen Text nach dem nächsten und mache mir zahlreiche Notizen für anstehende Klausuren und mid-term Prüfungen. Dazwischen bleibt etwas Zeit, um neue Vokabeln zu wiederholen und bei der arabischen Heidi Klum in den Unterricht zu gehen. Unsere bisherigen Erfahrungen mit der Sprache sind meist verhältnismäßig ernüchternd: Die Dozenten und Studierenden sprechen allesamt hervorragend Englisch, und insbesondere von Lehrerseite scheint kein großes Interesse zu bestehen, uns die arabische Sprache näher zu bringen. Kleine Konversationen mit den Studierenden enden meist in großem Gelächter und mit dem Satz: „Sorry, I didn't understand it because of your accent.“ Der Studienalltag bietet demnach nicht die besten Voraussetzungen, um tatsächlich Arabisch zu lernen.

Im palästinensischen Flüchtlingslager
Im Flüchtlingslager hingegen, in dem Maxie und ich am Freitag das erste Mal Englisch unterrichtet haben, scheint die Ausgangslage wesentlich besser. Denn die Kinder, mit denen wir in der ersten Stunde das Schreiben des Alphabets geübt haben, können bis auf „How are you?“ so gut wie kein Wort Englisch. Meine bisher wohl längste Konversation auf Arabisch fand demnach mit einem vielleicht sechsjährigen Mädchen statt, die mich gefragt hat, wo ich wohne. Nach relativ kurzer Zeit habe ich leider überhaupt nichts mehr verstanden und konnte ihr keine Antwort mehr auf ihre folgenden Fragen geben, aber immerhin gab es bereits einen ersten Anfang eines Gesprächs. Nachdem ich vor der ersten Stunde einigermaßen aufgeregt war, ob und wie wir ohne wirkliche Sprachkenntnisse in der Klasse zurechtkommen würden, bin ich im Nachhinein umso glücklicher, dass wir den Versuch gestartet haben. Ich bin gespannt, wessen Sprachkenntnisse am Ende ausgeprägter sein werden: Unsere in Arabisch oder die der Kinder in Englisch..
Besuch beim syrisch orthodoxen Bischof
Zurück an der N.E.S.T wartet auf uns das Mittagessen, das mir ein zweites Mal offenbar nicht bekommt. Nach einem kurzen und für mich einigermaßen anstrengenden Gespräch mit Mitgliedern der Synode aus Württemberg verbringe ich den Rest des Tages im Bett und über dem Mülleimer.
Mit leerem Magen und etwas schlapp begebe ich mich am heutigen Samstag auf die zweite Ost-Kirchen-Exkursion. Wir treffen den Bischof der syrischen orthodoxen Kirche in Beirut und wenig später den Bischof der syrisch katholischen Kirche.
Zweiterer residiert in einem wunderschönen Kloster außerhalb Beiruts. Während wir in Hamra Tag für Tag stockendem Verkehr und tosendem Lärm ausgesetzt sind tut es gut, die zauberhafte Aussicht zu genießen und auf die beeindruckende Natur und das Meer zu blicken. Zwischenzeitlich machen wir außerdem Halt an einem Pilgerort der Maroniten. Dort befindet sich eine große Marienstatue, und weil Maria auch im Islam eine entscheidende Rolle spielt, treffen sich hier Menschen verschiedener Religionen, um hier zu beten und jede Menge Fotos zu machen.


Der Campus der AUB (American University Beirut)
Im Laufe der Woche ergab sich darüber hinaus, zum ersten Mal die American University zu besuchen, die nur wenige Minuten von uns entfernt ist. Dort studiert die libanesische und internationale Elite des Landes, und hat nicht nur Blick aufs Meer und einen malerischen Campus, sondern auch einen eigenen Strand. Chris, die Frau des Pfarrers der deutschen Gemeinde, hat mit drei weiteren Frauen ein Buch zum Thema „Frauenrechte“ herausgegeben, dass in einer öffentlichen Runde vorgestellt wird.

Wenig später versendet Chris außerdem den Aktionsplan für den anstehenden Weihnachtsbasar, für den im Vorhinein mit vereinten Kräften Kränze und Lebkuchenhäuser entstehen sollen, die später auf dem Markt verkauft werden können. So lässt sich womöglich in den kommenden Monaten trotz der sommerlichen Temperaturen auch für uns noch ein wenig Weihnachtsstimmung generieren.
In der kommenden Woche müssen wir für unseren Islam-Kurs das erste Kurzessay über Mohammed fertigstellen, Maxie und ich werden unsere erste Andacht halten, und wir werden an weiteren Gesprächen mit dem al-Sharq Netzwerk teilnehmen. Außerdem planen Maxie, Lydia und ich einen ersten Ausflug an den Strand von Byblos – eine Stadt die auf Fotos aussieht wie aus dem Bilderbuch.
„Der Libanon beginnt außerhalb der Straßen von Beirut“, sagte heute ein Kommilitone, und bei der Aussicht aus dem Kloster über das kleine Land denke ich, dass er Recht haben mag, und es hinter der dicht besiedelten Stadt noch jede Menge zu entdecken gibt.


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