Mit der Einführung in
die Geschichte der Ost-Kirchen beginnt für uns der Studienalltag an
der N.E.S.T. In 2 ½ Stunden rasen wir per Powerpoint durch 2000
Jahre der Kirchengeschichte. Ich kann mich an kein historisches
Seminar erinnern, in dem ich zuvor jemals dermaßen konzentriert und
gespannt zugehört habe. Dr. Rima unterrichtet strukturiert und
unterhaltsam, die Einheit vergeht wie im Flug. Besonders gespannt bin
ich auf die zahlreichen geplanten Exkursionen, die uns in die Kirchen
führen, die wir im Unterricht behandeln.
Am Mittwoch folgte der
zweite Kurs auf dem Stundenplan, eine Einführung in den Islam bei
Dr. Ford. Etwas weniger strukturiert aber mindestens genauso spannend
wirkt sein Plan für das kommende Semester. Auch mit ihm sind einige
Ausflüge geplant, in der kommenden Woche steht bereits der Besuch
einer schiitischen Moschee auf dem Plan, in der wir als Beobachter an
einer 'Ashura'-Zeremonie teilnehmen werden. Plötzlich scheinen
religionswissenschaftliche Vorlesungen zu Leben zu erwachen.
Um unser Studentenvisum
zu erhalten, steht der ein oder andere bürokratische Termin auf dem
Plan. Also nimmt uns der kleine Hausmeister - der lediglich Arabisch
spricht - mit auf ein Amt und hilft uns, dem Visum durch ein
zusätzliches Dokument einen Schritt näher zu kommen.
Am Abend findet eine
Begrüßungsparty im Haus statt, die einem ersten Kennenlernen dient.
Neben Kommilitonen, die Theologie an der N.E.S.T studieren, wohnen
hier auch einige Studierende, die an anderen Universitäten in der
Umgebung lernen und nur im Haus wohnen.
Wir werden in Gruppen
aufgeteilt und versammeln uns um sieben Tische, auf denen Rezepte und
verschiedene Lebensmittel liegen. Jede Gruppe hat 30 Minuten, um die
Speisen zuzubereiten. In meiner Gruppe werden gefüllte Eier und ein
Teller mit frischem Gemüse, Nachos und Quarkdip angerichtet. Eine
halbe Stunde später stehen zahlreiche bunte Vorspeisen auf der
Tafel, und laden zu einem zweiten Abendbrot ein. Unerfreulicherweise
schlägt mir das selbst zubereitete Essen einigermaßen auf den
Magen. Es folgt eine schlaflose Nacht und ein Tag, an dem ich mich
ausschließlich von Keksen ernähren kann.
Das Leben an der N.E.S.T
begünstigt einen strukturierten Tagesablauf. Neben den Mahlzeiten
steht auch eine tägliche Andacht auf dem Programm, die Zeit zu
Einkehr und einem kurzen Moment des Innehaltens bietet. Äußerst
ungewohnt, aber gleichzeitig sehr protestantisch und somit auch recht
vertraut. Ähnlich nah wirkt auch die deutsche Gemeinde, die sich in
der gleichen Straße unserer Uni befindet. Dort treffen wir bei einem
spontanen Spaziergang auf den Pfarrer und seine Frau, die uns
herzlich willkommen heißen und zu Aktivitäten in und mit der
Gemeinde einladen.
Um den Mikrokosmos rund
um die N.E.S.T für eine Weile zu verlassen, haben wir uns in den
letzten Tagen immer wieder auf Spaziergänge durch die chaotische
Stadt begeben. Ausgestorben und nahezu unheimlich wirkt das
Downtown-Viertel, in dem sich ein teures Geschäft an das nächste
reiht. Doch zwischen Gucci und Rolex fehlen die Käufer und Besucher.
In den Straßen sind kaum Menschen unterwegs.
Am Freitag Abend
beschließen Maxie und ich außerdem, das Institut Francais zu
besuchen, um eine Podiumsdiskussion über Hip Hop im Libanon zu
verfolgen. Hätte nicht gedacht, dass ich so schnell wieder bei
meinem Lieblingsthema lande. Auf der Bühne sitzen ein Rapper, eine
Breakdancerin und ein Graffiti-Künstler. Eine Szene, die offenbar
erst nach dem Bürgerkrieg entstanden ist, und noch immer ein
Untergrundleben zu führen scheint. Nach der Diskussion wird eine
Graffiti-Ausstellung eröffnet, es gibt Snacks und ein paar tanzende
Besucher, die ihre Fähigkeiten zum Besten geben.
Auf dem Weg in das französische Institut laufen wir durch ein muslimisch geprägtes Viertel, in dem zahlreiche bunte Flaggen hängen. Später erfahren wir, das die Bewohner die Straße in Vorbereitung auf 'Ashura' geschmückt haben.
Den Samstag widmen wir
einer alternativen Stadtführung, in der uns ein junger Libanese
durch die angesagten Viertel der Stadt führt, und uns währenddessen
in die komplexe Geschichte des Landes einführt. Über fünf Stunden
spazieren wir vom Gemmayze-Viertel bis nach Hamra, besuchen Kaffees,
Künstlerateliers und einen Antiquitätenhandel. Es gibt viel zu
entdecken, zwischen zerbombten Häusern und riesigen Wolkenkratzern.
Gemmayze ist eines der hippen Studentenviertel, in denen sich
gemütliche Kaffees und bunte Streetart finden lassen. Ein Ort an den
es sicherlich lohnt, immer wieder zurückzukehren. In den ersten
Tagen in Hamra fühlt sich das Leben an wie in einer Blase, einem
wohlhabenden und westlichen Mikrokosmos.
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