Dienstag, 30. Mai 2017

Grenzgänger und Fischfänger.


Abschied im Captains - Die Attribute beziehen sich auf die Bar!
Der dritte Sonntag im Mai beginnt mit dem bereits angekündigten 'NEST'-Sunday, an dem Maxie, Clemens und ich unsere Beweggründe für ein Studienjahr im Libanon mit der protestantischen Gemeinde in der 'National Evangelical Church' im Herzen der Stadt teilen. Dr. Johnny, einer der Professoren unserer Hochschule, hält die Predigt auf Arabisch, und zwei syrische Studierende werden zur Bibellesung gebeten. Am Ende des Gottesdienstes ziehen wir gemeinsam mit dem Pfarrer aus der Kirche, um wenig später am Ausgang stehen zu bleiben und möglichst jedem Besucher die Hand zu schütteln und jedem einen guten Tag zu wünschen. Noch nie habe ich in so kurzer Zeit so vielen Menschen die Hand gegeben.
Eine ältere schmucke Dame kommt im Anschluss auf mich zu, und fragt mich nach den Gründen meines Aufenthalts. Offenbar hat sie im Gottesdienst die Information verpasst, dass ich hier studiere. Sie geht davon aus, ich sei hier, um als Freiwillige die syrischen Flüchtlinge im Land zu unterstützen, und scheint einigermaßen beruhigt, als ich ihre Befürchtung verneine. In Syrien, erklärt sie mir, gebe es ausreichend kriegsfreie Regionen, in denen man in Ruhe leben könne. Der einzige Grund weshalb die Syrer in den Libanon kämen, sei die zusätzliche Unterstützung durch NGOs und internationale Freiwillige aus aller Welt. Sie beklagt die Benachteiligung der ärmeren libanesischen Bevölkerung und ist sichtlich keine Freundin der Flüchtlingspolitik des Landes. Eine Position, auf die man auch hier immer wieder trifft.
Abschiedsfoto mit Lydia und unserem Arabischkurs
Der Abend steht im Zeichen des Abschieds von Lydia. Gemeinsam mit einer großen Gruppe N.E.S.T Studierender verbringen wir einen weiteren Abend im Captains, der wohl günstigsten und gemütlichsten Bar Hamras.
In der neuen Woche stelle ich im Ethik-Seminar meine Hausarbeit vor, und habe somit schlussendlich meine letzte Studienleistung erbracht. Am Nachmittag spaziere ich ins Orientinstitut, um das gut funktionierende Internet zu nutzen und mir die ein oder andere Sendung herunterzuladen. Wer mich kennt, der weiß um meine Leidenschaft für Rapperinterviews. Es ist wahrlich kein Zuckerschlecken, mit 6 GB Internet im Monat auf den ein oder anderen Interview-Diamanten verzichten zu müssen. Bushidos Promophase beginnt mit einem 2 ½ stündigen Interview, das ich mir aus dem Orientinstitut mitbringe und am Abend bei Wein, Popcorn und St. Charbel Kerzenlicht genieße.
Wein, Popcorn und St. Charbel
Am Abend darauf gehe ich mit ein paar Leuten der N.E.S.T in den Spieleladen, in dem man für wenig Geld Brettspiele spielen kann. Es ist der allerletzte Abend von Lydia, die ein Faible für Strategiespiele hat. Beim ersten Spiel muss man gut Lügen können – eine Fähigkeit die ich bedauerlicherweise nicht sonderlich beherrsche. Die zwei darauffolgenden Spiele aber gewinne ich mit etwas Glück beide – und so wird es ein für mich sehr erfolgreicher Abend. Maxie kommt etwas später hinzu, und wir lassen den Tag gemeinsam ausklingen.
Weil ich nach der Abgabe meiner Hausarbeit jede Menge freie Zeit habe, beginne ich bereits mit der Anfertigung einer Rede, die erst im Spätsommer zum Einsatz kommen wird: Im September heiratet meine herzallerliebste Schulfreundin Ine, deren Trauzeugin ich sein darf. Stundenlang versinke ich mit alter Musik aus früheren Zeiten auf dem Balkon, und verschwinde in Gedanken in meiner Schulzeit. Seit unglaublichen sechzehn (!) Jahren begleitet mich Ine bereits durch mein chaotisches Leben, und ich kann es kaum erwarten, zurück in Deutschland an den letzten Hochzeitsvorbereitungen beteiligt zu sein, und schließlich den großen Tag der Beiden zu begleiten.
Unsere Ethik-Klasse
Unsere Dozentin Dr. Rima hat mir auf Wunsch ganze elf Filme zum Thema 'Krieg und Libanon' zur Verfügung gestellt, und so nutze ich einige der kommenden Abende, um anstelle von Interviews oder Polit-Talkshows einige Spielfilme zu gucken. Darunter: Waltz with Bashir, Under the Bombs und Zaytoun.
Die Zeit an der N.E.S.T findet ihr deutliches Ende. Das macht sich auch daran bemerkbar, dass ich am Donnerstag Nachmittag die letzte Andacht meines Aufenthaltes besuche, in der unsere Kommilitonin Navina ein letztes Mal ein Lied auf Hindi mit uns singt, zu dem es eine ausgefeilte Choreographie gibt. Navina hat indische Wurzeln, und hat uns sowohl den Text als auch den Tanz über das Jahr verteilt Stück für Stück beigebracht.
Fossilien klopfen
Am Wochenende schließen wir uns der deutschen Botschaft auf einen Betriebsausflug in den Norden an. Ein Bekannter, dessen Ehefrau für die Botschaft arbeitet, hatte uns dazu eingeladen, und so standen wir in aller deutschen Pünktlichkeit fünf Minuten vor der verabredeten Zeit auf dem Mc Donalds Parkplatz kurz hinter Byblos. Von dort machen wir uns auf den weiteren Weg, um Fischfossilien 'auszugraben', bzw. 'auszuklopfen'. In einer Gegend, in der es offenbar überdurchschnittlich viele Fischfossilien gibt und die Chance äußerst hoch ist ein Fossil zu finden, begannen wir mit entsprechendem Werkzeug die Steine zu bearbeiten, um sie letztlich zu spalten und darauf zu hoffen, im Inneren auf ein Fossil zu stoßen. Tatsächlich waren letztlich vermutlich alle Teilnehmer erfolgreich, und so fuhren wir wenig später mit einem kleinen Zertifikat und unserer Ausbeute zurück nach Beirut.
Mein Fisch, angeblich 100 Millionen Jahre alt
Am Sonntag ging es auf eine weitere Tour in den Süden.
„Sindse in der U-Bahn jeborn oder warum könnse die Tür nich zumachen? Et zieht! Sie wissn schon, dass die Anschnalljurte hier nich nur zur alljemeinen Dekoration anjebracht sind? Wenn wir jetz anjehalten werden muss ick die Strafe zahlen, nich sie, und mit n bisschen Pech verlier ick ooch noch meenen Job!“
Ich sitze im Mini-Van von Beirut nach Saida, und bin mit meinen Gedanken in Berlin. Wäre unser Busfahrer Berliner, und kein Libanese, dann wären dies vermutlich die Kommentare gewesen, die die gesammelte Belegschaft des
Der südliche Libanon von der Burg Beaufort
Busses zu hören bekommen hätte. Aber ich bin nicht in Berlin, und unser Busfahrer ist sehr wohl Libanese – und somit interessiert es reichlich wenig, dass sich niemand anschnallt und die Tür des Busses noch sperrangelweit offen steht, als wir losfahren. Die Tür knallt auf der Fahrt selbstständig zu während der Busfahrer entspannt den Arm aus dem Fenster streckt, um den Fahrtwind zu spüren.
Bemerkenswert ist immer wieder die Aufmerksamkeit der Busfahrer und auch der Mitfahrenden, die häufig durch das Umsetzen von Fahrgästen ermöglichen, dass Maxie und
Stobbi im Libanon, hinter mir der südliche Nachbar
ich nebeneinander sitzen können, oder man einen Einzelplatz erhält. In diesem Fall fahre ich alleine nach Saida, um dort von Maxie und ihrem Besucher Phillip abgeholt zu werden.
Endlich nutzen wir die Gelegenheit, den letzten Checkpoint im Süden zu passieren und an die Grenze zum südlichen Nachbarn zu fahren. Mit einer Sondergenehmigung, die wir dank Kontakten an der Hochschule äußerst unkompliziert erhielten, ist es ein Leichtes von Saida bis an den Grenzort Kfar Kila zu kommen.
Sicherheitszone zwischen dem Libanon und seinem Nachbarn
Der Soldat am Checkpoint zeigte sich verhältnismäßig desinteressiert und ließ uns ohne große Kontrolle passieren, nachdem Maxie ihm die Nummer nannte, die uns als 'Passierschein' übermittelt wurde. Vor unserem Besuch am Grenzzaun besuchten wir außerdem die Burg Beaufort, die einst vom König von Jerusalem ausgebaut, und Anfang der 80er von der israelischen Armee besetzt wurde. Als wir die Burg besichtigen, die von außen wesentlich kleiner aussieht als sie tatsächlich ist, sind wir wieder einmal völlig allein in der historischen Stätte unterwegs. Als wir die Ruinen jedoch verlassen, kommt uns eine – vermutliche
Phillip, Maxie und die Burg Beaufort
amerikanische – Reisegruppe entgegen. Wenngleich noch immer verhältnismäßig wenige Touristen unterwegs sind, so merkt man dennoch, dass langsam die Sommersaison beginnt und immerhin etwas mehr Nicht-Libanesen im Land unterwegs sind als zuvor. Am Grenzzaun treffen wir auf indonesische Blauhelm-Soldaten, die fröhlich Fotos mit uns machen, und denen es ansonsten etwas langweilig zu sein scheint. Viel scheint hier nicht zu passieren, an der Grenze die durch einen schmalen Sicherheitsraum zwischen den zwei Ländern markiert ist, auf dem offenbar israelisches Militär regelmäßig Patrouille fährt.
Indonesische Blauhelmsoldaten & wir
Da uns Christian – der Kontakt zur Botschaft - dankenswerterweise am Vortag eine Route durch den Süden empfohlen hat, wissen wir in etwa wo sich ein schönes Restaurant in der Nähe befindet, das wir zum Abschluss unserer Tour anpeilen können.
Das Restaurant ist sehr idyllisch am Litani Fluss gelegen. Direkt gegenüber ragt ein Berg in die Höhe, auf dem der rostige Stacheldraht die Grenze markiert. Maxie und Phillip bringen mich in Tyros an die Busstation, von der ich zurück nach Beirut fahre, während die zwei noch eine Nacht im Süden bleiben. Den Abend lasse ich bei einer Minzlimonade mit Miriam aus Holland und meinem syrischen Kommilitonen Sleiman im Café Hassan am Meer ausklingen.
Restaurant am Litani Fluss
Die neue Woche startet mit einer Runde Arabischunterricht und einem Besuch im Kosmetikstudio. Nachdem ich vor vielen Jahren den libanesischen Film 'Caramel' das erste Mal sah, hatte ich mir fest vorgenommen eines Tages in Beirut einen libanesischen Schönheitssalon zu besuchen. Das Studio meiner Wahl entsprach leider nicht völlig dem Stil des Salons aus dem Film, in dem der neuste Klatsch und Tratsch der Stadt lebendig besprochen wurde. Dafür wurde mir die Kosmetikerin von Chris - der Frau des Pfarrers der deutschen Gemeinde - empfohlen, und so fiel meine Wahl auf den ruhigen Laden in Hamra. Die Kosmetikerin, die mir nahezu eine Stunde lang das Gesicht mit allerlei Wässerchen,
Auf einen Tee im Kosmetikstudio
Cremes und Peelings behandelte, sprach einwandfrei Deutsch, da sie ihre gesamte Ausbildung in Karlsruhe absolviert hatte. Ob sie letztlich wieder in den Libanon zurückwollte, frage ich sie. Sie bejaht und meint, Sonne und Meer wären eben doch ganz erstrebenswert. Wie Recht sie hat. Mit einer von jeglichen Mitessern befreiten Nase und dem Duft von Rose und Mango im Gesicht treffe ich am Abend mit Maxie in einem hübschen Café auf Leila. Die französische Doktorandin schreibt ihre anthropologische Dissertation über Freiwillige, die mit Flüchtlingen arbeiten (oder so ähnlich). Wir hatten sie im palästinensischen Flüchtlingslager bei der Feier zum Muttertag kennengelernt.
Aus irgendeinem Grund ging ich den gesamten Abend davon aus, unser Treffen würde aus Forschungszwecken stattfinden und sie sei daran interessiert ein Interview mit uns durchzuführen. Allerdings wartete ich vergeblich auf einen Fragenkatalog, weil ich offenbar verpasst hatte dass wir schlicht für eine entspannte gemeinsame Limo verabredet waren. Ein spannender Abend mit einer liberalen und offenen Muslima, die uns interessante Einblicke in ihr Leben in Frankreich und im Libanon gewähren konnte.
Mauerbemalung an der Grenze
Den heutigen Tag verbringe ich heute zum Großteil auf der Terrasse der N.E.S.T, auf der mein Studienjahr auch begann. In den ersten Monaten saß ich mehr oder weniger jeden Morgen mit Maxie an den weißen Plastiktischen, um in der September- und Oktobersonne Artikel für die Uni zu lesen und nebenbei einen Cappuccino zu schlürfen. Vor einigen Tagen hat der Monat Ramadan begonnen, was sich auf den Straßen deutlich bemerkbar macht: Viel weniger Menschen laufen durch die Straßen, der Geräuschpegel scheint ein wenig gesunken zu sein.
Morgen schon wird Paul (inshallah, sofern er nicht auf dem Weg auf Grund von maximaler Schusseligkeit sondergleichen verloren geht...) mich in Beirut besuchen kommen, und ich freue mich auf eine letzte Tour vor meiner Rückkehr. Noch in dieser Woche stehen uns einige Abschiede bevor. Eigentlich ging ich davon aus, in dieser Woche die Abschlussfeier des Kindergartens im
Mauerbemalung II
Flüchtlingslager zu besuchen – allerdings wurde mir vorhin mitgeteilt, dass dort die Masern und Mumps ausgebrochen sind, und die Feier deshalb abgesagt werden musste. Daher werde ich mich lediglich mit der Koordinatorin der Organisation treffen, um mich immerhin von ihr zu verabschieden. Außerdem planen wir eine kleine Geschenkübergabe an unsere Dozentin und Hauptorganisatorin Dr. Rima, sowie an den Präsidenten der Hochschule. Auf unserer letzten Tour in den Süden haben wir zwei kleine Bäume gekauft, die wir als symbolische Präsente zum Dank überreichen möchten. Weil es Beirut an Grün im Stadtbild mangelt und
Outdoor-Sport an der Grenze
auch unsere Schule eher grau als bunt ist, schienen die zwei Pflanzen eine gute Gelegenheit, metaphorische Wurzeln zu hinterlassen und außerdem den Anblick des Hofes ein wenig zu verschönern. Ich hoffe sie werden auch im nächsten Jahr noch blühen, und nicht wie ein Großteil der hiesigen Pflanzen auf Grund des übermäßig salzigen Grundwassers eingehen. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntermaßen zuletzt, und so scheint es immerhin einen Versuch wert, der Schule damit ein Geschenk zu machen, das bleibend ist. 

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